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#Blau ist eine warme Farbe

Blau ist eine warme Farbe

Über Popmusikern, die es zu ganz großem Erfolg gebracht haben, liegt manchmal auch ein Fluch: der nämlich, dass alle glauben, sie zu kennen – und dabei doch nur wenige immer wieder gespielte Lieder von ihnen kennen. Phil Collins, der jüngst siebzig wurde, ist so ein Fall. An ihm entlud sich sogar aufgrund einiger seiner omnipräsenten Hits, von denen manche zugegebenermaßen schmalzig sind, besondere Abneigung.

Jan Wiele

Wenn man Collins‘ gesamte Karriere betrachtet, mit allem, was er darin an verschiedener Musik gemacht hat, von ausuferndem Neo-Folk zu Beginn der Siebziger über Prog-Rock mit Genesis, von seinen guten und schlechteren Balladen über Big-Band-Jazz und Motown-Gedenkmusik, ist es – bei allem Respekt vor einer ordentlichen, aber musikalisch völlig unoriginellen Rockband wie Oasis – fast grotesk, dass sich ausgerechnet deren tonangebende Gallagher-Brüder über Phil Collins mehrfach sehr abfällig geäußert haben. Und sie blieben nicht die Einzigen.

Ähnlich verhält es mit Chris Rea: Wegen seines zutodegenudelten Radiohits „Driving Home for Christmas“ und vielleicht noch drei, vier anderen Songs wie „Josephine“, „On the Beach“ oder „Fool (If You Think It’s Over)“ glaubt man ihn ablegen zu können zwischen klimperndem Easy Listening und Kuschelrock.

Aber wer das tut und dann zum Beispiel seinen frühen Song „Letter From Amsterdam“ hört, müsste eher glauben, einen zweiten Dylan vor sich zu haben in diesem melodisch teilweise an „My Back Pages“ erinnernden Boogie. Und das trocken rockende Titelstück seines 1979er Debütalbums „Deltics“ passt eher in die Gesellschaft des minimalistischen J.J. Cale als zum Stadionrock. Keine Frage, den hat Rea dann auch noch gemacht, zehn Jahre später mit seinem bombastischen Album „The Road to Hell“, dessen Titelsong mit dem charakteristischen Slidegitarrensolo seine erfolgreichste Single wurde.

Und keine Frage, er hat mit so manchem Schwof- und Schmusesong den Markt bedient. Aber er hat auch immer wieder überzeugend Konzeptuelles gemacht. Dazu zählt nicht nur, den Frauen seines Lebens, also auch Töchtern, hemmungslose Liebeserklärungen in Liedern zu machen. Eine Reise nach Dublin brachte den Mann irisch-italienischer Abstammung, der im englischen Middlesborough aufgewachsen war, wieder mit der gefühlten Heimat in Kontakt und erzeugte anglo-irische Reibung. Das Album „Shamrock Diaries“ ist die musikalische Verarbeitung dessen, von katholischer Chorknaben-Kindheit bis zum Ausbrechen in die weite Welt. Das bittersüße „Steel River“ ist Reas Erinnerung an die der ewig an einem klebende Arbeiterstadt, wie Bruce Springsteen sie anhand der Minenarbeiter in Pennsylvania und Sting sie anhand der Schiffswerft von Newcastle besungen hat. Hier nun heißt es: „I was born and raised on steel river / I see it all like it was yesterday / The ships and bridges they were all delivered / From Sydney Harbour to the Cisco Bay“. Und gleichzeitig wird auch die musikalische Gefühlserziehung geschildert:

Dancing to Motown
Making love with Carole King record playing
And oh how I loved you
Say goodbye steel river

Chris Rea also inspiriert von Carole King? Das ist, denkt man über sein Talent für eingängige Melodien nach, gar nicht so abwegig. Anders dagegen hielten es die Mädchen in Stainsby: „Some loved horses and always stayed at home / But the Stainsby Girls loved the Rolling Stones“, heißt es in dem ebenfalls bemerkenswerten Song „Stainsby Girls“ auf demselben Album.

Konzeptuell, ja geradezu manisch hat sich Rea auch der Farbe oder besser dem Thema „blue“ in vielen ästhetischen Valeurs gewidmet: Nach den Alben „The Blue Café“ (1998) und „The Blue Jukebox“ (2004), dessen Titelstück als langsame Saxophonjazzballade Nachtfalken nachschleicht, hat es ihm nicht genügt, wie ein Verrückter Gemälde mit blauen Gitarren zu malen. Sondern er nahm 2005 ein Meta-Album aus dreizehn Einzelalben mit dem Titel „Blue Guitars“ auf. Jedes der Einzelalben widmet sich einer historischen Phase der Geschichte des Blues: von seinen afrikanisch-amerikanischen Anfängen über den Country Blues, den Chicago- und Texas-Blues bis zum keltisch-irischen und dem Latin-Blues. Mehr als 130 Songs sind darauf, bei denen Rea und seine Band alle möglichen Saiteninstrumente zum Einsatz bringen: ein wirklich erstaunliches Werk.

Das manische Arbeiten mag mit schwerer Krankheit zu tun gehabt haben, die Rea schwer gezeichnet hat und schon vor Jahren glauben ließ, er stehe kurz vor dem Tod. Doch er hat sie, überaus zäh, überwunden. Bei seiner unerwarteten Rückkehr auf Konzertbühnen hat er Lieder wie „Josephine“ in lässig umarrangierten Versionen präsentiert (hier etwa mit vorsichtiger Banjo-Begleitung), die auch manchen mit den früheren Studioaufnahmen nicht Zufriedenen umstimmen könnten.

Wenn man Chris Rea nun also zum Siebzigsten gratuliert, sollte man nicht vergessen, dass er auch lyrisch einiges Bemerkenswerte geschaffen hat – vor allem in seinen Balladen, die, ganz ähnlich wie die besten Songs von Mark Knopfler, ein großes Ringen zwischen Tradition und Moderne darstellen: Was bei den Dire Straits „Telegraph Road“, findet bei Chris Rea nicht nur eine sarkastische Parallele in „The Road to Hell“, sondern auch ein optimistischeres Gegenstück in „Chisel Hill“. Es endet mit einem Nachhausekommen des Weitgereisten in die englische Landromantik:

The evening shadows on the dry stone walls
The night draws in and the ale house calls
And happy I will be
When the road goes no further than what I see

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