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#Dieser Spion hat eine Schraube locker

Dieser Spion hat eine Schraube locker

Vietnamesischer Kaffee belohnt seinen Konsumenten mit der perfekten Balance aus Süße und Bitterkeit, aber man muss sich den Genuss schon verdienen. Zuerst besteht akute Verbrennungsgefahr, dann wird die Prozedur zur Geduldsprobe, wenn die schwarze Brühe minutenlang auf die zuckrige Kondensmilchlache tropft – umso länger, je fester der Kaffee ins Sieb gepresst wurde. In „Die Idealisten“ markiert die Durchlaufzeit eines vietnamesischen Kaffees den Unterschied zwischen Leben und Tod, zwischen der Gelegenheit zu tiefschürfenden Analysen und krachender John-Woo-Gedächtnis-Action.

Der verantwortliche Autor heißt Viet Thanh Nguyen, kam 1975 als Flüchtling mit seiner Familie aus Vietnam nach Pennsylvania, lehrt heute Englisch und Vergleichende Literaturwissenschaften an der University of Southern California und gewann 2016 mit „Der Sympathisant“ den Pulitzer-Preis für Belletristik. Darin wird ein als Adjutant getarnter kommunistischer Spion in den letzten Zügen des Vietnam-Kriegs von Saigon nach Los Angeles ausgeflogen, von wo aus er verschlüsselte Botschaften an die Kameraden in der Heimat schickt, stets auf der Hut, um nicht das Misstrauen seines Generals zu wecken. Zwischendurch assistiert er einem überheblichen Nachwuchsregisseur beim Dreh eines Vietnam-Kriegs-Epos und überlebt schließlich ein kommunistisches Umerziehungslager, wo er seine Lebensbeichte verfasst: den Roman selbst.

Ein Mann mit zwei Gesichtern

„Die Idealisten“ ist die Fortsetzung, die dank diverser Rückblenden die Kenntnis des Vorgängers nicht zwingend voraussetzt. Was nicht heißt, dass sie nicht reich von ihr profitiert. Alles beginnt einmal mehr mit dem namenlosen Protagonisten, der in Begleitung seines Blutsbruders Bon – ein ausgemachter Kommunistenhasser übrigens, der pikanterweise keine Ahnung von der Spionagetätigkeit seines Freundes hat – in Paris ankommt. Dort lässt er sich in den folgenden Monaten auf den wohl kapitalistischsten aller Wirtschaftszweige ein – den illegalen Drogenhandel.

Viet Thanh Nguyen: „Die Idealisten“. Roman.


Viet Thanh Nguyen: „Die Idealisten“. Roman.
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Bild: Blessing Verlag

Mit seinem Spion hat Viet Thanh Nguyen eine der faszinierendsten Romanfiguren der vergangenen Jahre geschaffen, und das gilt genreübergreifend. Geboren in Nord- und aufgewachsen in Südvietnam, Sohn einer Vietnamesin und eines französischen Priesters, was ihm den unschmeichelhaften Spitznamen „verrückter Bastard“ eingebracht hat. Ein Mann mit zwei Gesichtern, der regelmäßig in unvermittelte Weinkrämpfe ausbricht, weil sein größtes Problem darin besteht, dass er für alle Seiten Sympathien aufbringt: die der Kommunisten, die der Kapitalisten und – damit konfrontiert ihn nun tagtäglich der Umgang mit der Pariser Intelligenzija, die ihm dankbar seinen Stoff abkauft – auch die der Kolonialisten.

Was soll man tun?

Die Kritik lobte schon „Der Sympathisant“ und nun auch „Die Idealisten“ als Paradebeispiel für den Einsatz eines unzuverlässigen Erzählers. Ob diese Kategorie wirklich greift, ist fraglich. Die paar Notlügen? Geschenkt. Vielmehr ist der Spion das sprichwörtlich offene Buch, das vor uns liegt, in all seiner Ambivalenz und Unsicherheit.

„Die Jahre als Spion, Schläfer und Maulwurf hatten mich einem so großen Stress ausgesetzt, dass das Gewinde meiner Schraube jetzt ausgeleiert war“, sinniert er. „Solange sie fest angezogen gewesen war, hatten meine zwei Seelen einigermaßen gut zusammengearbeitet. Jetzt drehte meine Schraube durch – der allgemeine Zustand der Menschheit – und saß nicht mehr fest.“ Letztlich ist es unerheblich, ob ein Plot damit endet, dass eine fiktionale Figur eine Kugel zwischen die Augen bekommt oder nicht. Zentraler ist das philosophische Problem, dass sich auch dem Spion angesichts seiner Überforderung mit all den Optionen dieser Welt unentwegt stellt und das er als einfache Frage formuliert: Was soll man tun?

Als Gutenachtlektüre ungeeignet

Als Verfasser zweier ausführlicher Geständnisse hat er seine ganz persönliche Antwort darauf wohl gefunden: Schreiben. Woran die nächste Frage unmittelbar anschließt: Wie schreiben? Viet Thanh Nguyen jedenfalls hält sich nicht lange mit Formalitäten auf. In seinen Dialogen verzichtet er auf Anführungszeichen, in seinen Gedankengängen schon mal über fünf zusammenhängende Seiten auf Punkte, und je nach Gemütslage und Drogenpegel ist sein Spion mal ein Ich, dann wieder ein Du und schließlich sogar ein Wir, was „Die Idealisten“ als Gutenachtlektüre weitgehend disqualifiziert.

Das Ergebnis ist ein burlesker Bewusstseinsstrom, der seine Leser durch ein geschicktes Spiel mit dem Rhythmus bei der Stange hält. Stichwort „Vietnamesischer Kaffee“. Entgegen der Erwartungen sind es vor allem die gewaltvollen Momente, in denen Nguyen das Tempo drosselt und die wichtigen Informationen nur tröpfchenweise durch das Sieb presst.

Wenn der Spion Opfer eines Überfalls durch die konkurrierende algerische Drogenmafia wird oder sich im Folterkeller wiederfindet, Elektroden an die Nippel geklemmt, dann scheint in seinen Erinnerungen die Mutter auf, die ihm als Einzige auf der Welt heilig ist, dann versucht er das französische Ideal der liberté, égalité, fraternité mit den antikolonialistischen Thesen Frantz Fanons übereinzubringen, Zeit zu schinden, bis er eine Antwort weiß, mit der er leben kann. Die literarische Zeitlupe stellt wie ihr optisches Äquivalent die große Frage scharf, die Nguyen via Spion direkt an seine Leser weiterreicht: Was tun?

Viet Thanh Nguyen: „Die Idealisten“. Roman. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Blessing Verlag, München 2021. 496 S., geb., 24,– €.

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