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#Dieses Land wird von zwei Geistern angeführt

Dieses Land wird von zwei Geistern angeführt

Ungebrochen ist seit der Aufklärung die Faszination für Geheimbünde. Daran ändert auch eine Flut an geheimnislüftenden Publikationen nichts. Ähnlich verhält es sich heute mit dem verschlossenen Land Nordkorea, das nur wenige Besucher – kaum je Journalisten – hinein und dabei stets bewachen lässt. Trotzdem stapeln sich inzwischen die Nordkorea-Bildbände und Erlebnisberichte. Alle waren sie offenbar schon dort, von der Fotografin Julia Leeb über den Architektur-Kritiker Oliver Wainwright bis zum Popliteraten Christian Kracht. Und es lässt sich leicht einsehen, woher der Pop-Nimbus des Kim-Absolutismus kommt. Schließlich finden sich kaum irgendwo sonst noch derart retrofuturistisch durchgestaltete Oberflächen. Die knallig monumentale Poster-Choreographie des Herrscher-Kults soll alles überdecken, was seit den neunziger Jahren nicht mehr funktioniert.

Die meisten Nordkorea-Erkundungen zielen daher aufs Visuelle und nehmen die vergleichsweise entwickelte, auf Repräsentation getrimmte Hauptstadt Pjöngjang in den Blick. Davon hebt sich der um Hintergrundrecherchen erweiterte Reise-Essay Rudolf Bussmanns in lehrreicher Weise ab. Der Schweizer Schriftsteller hat gemeinsam mit der Südkoreanerin Hoo Nam Seelmann den äußerst ärmlichen Norden Nordkoreas bereist, und er achtet darauf, weder den Inszenierungen des Regimes auf den Leim zu gehen, noch mit moralischem Überlegenheitsgefühl auf das Land zu schauen. Fotos gibt es nicht in diesem gleichwohl bildstarken Band, dafür Exkurse in die dunkelsten Kapitel der nordkoreanischen Geschichte: Hungersnöte, Korruption, Straflager, Atombombe.

Schauer-Faszination für die Terra incognita 

Zugleich bemüht sich Bussmann, diesen Staat aus sich selbst heraus zu verstehen. Kleine Zeichen, die er dank seiner kulturell versierten Begleiterin zu entschlüsseln versteht, deuten auf ein Alltagsbewusstsein, das zwischen trotzigem Stolz und Fatalismus schwankt. Und das entgegen aller Propaganda zahlreiche Risse aufweist. Das geht bereits los mit der Kim Jong-un im Herbst 2018 abgenötigten, wenn auch nur angedeuteten Verneigung vor den an den Flughafen Pjöngjang abkommandierten Bürgern, nachdem der südkoreanische Präsident – Bussmanns Reise fand in den Tagen der jüngsten Annäherungen statt – ebendies vorgemacht hatte: „Die Verbeugung eines Präsidenten vor dem Volk ist für die Nordkoreaner etwas Unerhörtes.“

Rudolf Bussmann: „Herbst in Nordkorea“. Annäherung an ein verschlossenes Land.


Rudolf Bussmann: „Herbst in Nordkorea“. Annäherung an ein verschlossenes Land.
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Bild: Rotpunktverlag

Der Autor nähert sich dem Land über China, was schon deshalb interessant ist, weil sich zeigt, dass in dem ehemaligen Bruderland die Schauer-Faszination für die Terra incognita ebenso groß ist wie in Südkorea, wo man von Observatorien aus hinüberblicken kann. Bei der chinesischen Stadt Yanji bieten Boote Touristenfahrten bis zur Mitte des „drüben“ gut bewachten Grenzflusses Tumen an.

Das Gefühl einer Zeitreise

Bald rumpeln die Leser mit den Besuchern und ihren drei Begleitern auf holprigen Straßen durch die Provinz Nord-Hamgyong, wobei wir erfahren, dass sich Fußgänger und Radfahrer trotz des spärlichen Autoverkehrs – nur offizielle Personen, Ärzte und einige alte Lastwagen sind motorisiert unterwegs, das aber mit absolutem Vorrang – auf den engen Gehwegen zu drängeln haben. Bussmann hat oft das Gefühl einer Zeitreise, wenn ihm etwa im „Kurhotel“ oder in einer der wenigen Gastfamilien-Pensionen das heiße Wasser in Eimern gebracht wird. So hart dieses Leben sein muss, kann der Gast der Entschleunigung auch etwas abgewinnen.

Aufgesucht werden Schulen, Tempel, Monumente oder Aussichtspunkte, stets begleitet von Informationen, etwa zur Situation der Christen im Land oder zum Drei-Klassen-System. Beim Besuch einer Buchhandlung fällt auf, dass in ihr so wenig erzählende Literatur zu finden ist wie in Chongjins Universitätsbibliothek.

Staatlich erwünschtes Desinteresse

Dass Bussmann ein patenter Literat ist, merkt man der wohlgesetzten Sprache an. Mit Poetisierungen hält er sich indes zurück. Hier und dort nur versetzt er sich literarisch in Personen hinein, um so, recht gelungen, den Umstand auszugleichen, dass alle Menschen, mit denen die Besucher in Kontakt kommen, offenbar für diese Situation präpariert wurden. Passanten und selbst Marktfrauen wenden sich mit staatlich erwünschtem Desinteresse ab. Die Aufpasser wiederum haben trotz aller Schulung ihre Eigenheiten.

Ungewohnte Einblicke: Rudolf Bussmann schildert ein Leben fernab von Pjöngjang.


Ungewohnte Einblicke: Rudolf Bussmann schildert ein Leben fernab von Pjöngjang.
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Bild: Picture-Alliance

Nach und nach gewinnen die Leser dabei ein Grundverständnis für diesen Staat, der zwar von zwei „Geistern“ angeführt wird (Staatsgründer Kim Il-sung ist offiziell „Ewiger Präsident“, sein Sohn Kim Jong-il „Ewiger Generalsekretär“), aber aus der Nähe wenig geisterhaft wirkt. Vielmehr scheint er verzweifelt darum bemüht, den Eindruck aufrechtzuerhalten, das Regime kümmere sich um seine Bürger, die es in Wahrheit seit dem Ende des Sowjetreichs – es folgte der wirtschaftliche Kollaps Nordkoreas – noch stärker unterdrückt als zuvor.

Die wilde Marktwirtschaft, die sich trotz der Sanktionen entwickelt hat, scheint Bussmann alles andere als eine Zukunftsverheißung zu sein. Weder den Weg Albaniens (nach Enver Hodscha) noch den Vietnams möchte er dem Land wünschen. Am meisten zu erhoffen sei wohl von der Wiedervereinigung der beiden Koreas, an der aber China und die Vereinigten Staaten kein Interesse hätten. Und tatsächlich ist von der Entspannung im Herbst 2018 bereits nichts mehr zu spüren. Kim Jong-uns Regime, dem das Wasser bis zum Hals steht, schwört das Volk gegenwärtig auf harte Zeiten ein.

Rudolf Bussmann: „Herbst in Nordkorea“. Annäherung an ein verschlossenes Land. Rotpunktverlag, Zürich 2021. 216 S., geb., 25 Euro.

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