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#Die abgeklärte Kämpferin

Die abgeklärte Kämpferin

Man darf dreifach gratulieren: Antje Rávik Strubel zum Deutschen Buchpreis für ihren Roman „Blaue Frau“, der Jury für ihre Wahl und der Auszeichnung selbst zu diesem Gewinnertitel. Er setzt die bemerkenswerte Liste von durchaus auch politisch motivierten Büchern fort, die bei der kommerziell wichtigsten Auszeichnung des deutschsprachigen Literaturbetriebs bislang triumphiert haben: angefangen von Katharina Hackers „Die Habenichtse“ (2006) über Uwe Tellkamps „Der Turm“, Ursula Krechels „Landgericht“, Robert Menasses „Die Hauptstadt“ und Saša Stanišićs „Herkunft“ bis zu „Anette, ein Heldinnen-Epos“ von Anne Weber erst im vergangenen Jahr.

Diesmal jedoch ist das Private politisch – oder besser gesagt: gesellschaftspolitisch. Im Mittelpunkt von „Blaue Frau“ steht eine junge Tschechin namens Adina, die mit den Folgen einer Vergewaltigung zurechtkommen muss. Antje Rávik Strubel, eine schon immer an Fragen von Geschlechteridentität interessierte Autorin, nimmt hier sexuelle als Männergewalt in den Blick, und wie sie es tut, das ist in der Tat gnadenlos, was Sprachwahl, Drastik und Botschaft angeht. Aber neben der „existenziellen Wucht“ eben auch „poetisch präzise“, wie die Jury es in ihrer Begründung zutreffend feststellte. „Blaue Frau“ ist  ein hochliterarisches Fanal.

Da war das Siegerbuch noch lediglich nominiert: „Blaue Frau“.


Da war das Siegerbuch noch lediglich nominiert: „Blaue Frau“.
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Bild: dpa

Wird das auf Gegenliebe stoßen bei den vielen Käufern, die eine Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreis normalerweise zum Erwerb des Siegertitels bewegt? Antje Rávik Strubel erzählt über einen ganzen Kontinent hinweg und auch quer über die Grenzen unserer Sicherheiten. Das ist voraussetzungsreich, und gerade das macht die Auszeichnung so erfreulich. Hier ist eine Lanze gebrochen worden für herausfordernde Literatur. Es gab schon bequemere Entscheidungen.

Eine kämpferische Dankesrede

Man mochte meinen, Antje Rávik Strubel hätte damit gerechnet, so abgeklärt wirkte ihre Dankesrede. Vorbereitet dürften die meisten Nominierten eine haben, aber hier war doch eine besonders große Sicherheit zu spüren, diesen Preis verdient zu haben: als Lohn für eine Kampfansage. Im Spott über jene „Klingel-an-der-Tür-und-renn-weg-Männer“, die Antje Rávik Strubel im Widerstand gegen die Identitätsdebatten am Werk sieht, war das ebenso zu spüren wie in ihrem Hohn über die Dreistigkeit, die das Ende der (männlichen) Meinungshoheit zum Ende der (allgemeinen) Meinungsfreiheit stilisiere. Das fand viel Beifall unter den immerhin 160 zugelassenen Gästen im Kaisersaal des Frankfurter Römers – wo sich im vergangenen Jahr pandemiebedingt nur an die dreißig verloren hatten. Die Preisverleihung gewann ein Stück Normalität zurück, trotz einer Gewinnerin, die sich, wie sie sagt, vielmehr „den Schlupflöchern der Normalität“ widmet.

Hinter Antje Rávik Strubel saß im Römer ein Autor, für den dasselbe gilt: Christian Kracht. Bemerkenswert genug, dass er überhaupt angereist war. Mit „Eurotrash“ (Kiepenheuer & Witsch) zum dritten Mal in diesem Jahr für einen großen Preis nominiert (in Leipzig war ihm Iris Hanika vorgezogen worden, die Nominierung zum Schweizer Buchpreis lehnte er selbst ab), hatte er die Mitarbeiter der Deutschen Welle – wie immer verantwortlich für die eher belanglosen Filmeinspielungen über die sechs Finalisten des Buchpreises – gar nicht erst ins Haus gelassen. Nun saß er mit einer schicken rosa Mund-Nase-Bedeckung in Frankfurt, und es war trotz der Freude über den Sieg von „Blaue Frau“ der Wermutstropfen des Abends, dass „Eurotrash“ wieder leer ausgegangen ist.

Da war sie schon obenauf: Antje Rávik Strubel bei der Nominiertenlesung im Frankfurter Literaturhaus. Neben ihr Norbert Gstrein, Monika Helfer, Mithu Sanyal und Thomas Kunst. Christian Kracht fehlte.


Da war sie schon obenauf: Antje Rávik Strubel bei der Nominiertenlesung im Frankfurter Literaturhaus. Neben ihr Norbert Gstrein, Monika Helfer, Mithu Sanyal und Thomas Kunst. Christian Kracht fehlte.
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Bild: dpa

Enttäuscht wird man auch beim Hanser Verlag sein, der mit drei Nominierten (Norbert Gstreins „Der zweite Jakob“, Monika Helfers „Vati“ und Mithu Sanyals „Identitti“) die Hälfte der Shortlist stellte. Solch eine Übermacht gab es in der Geschichte des Preises zuvor erst einmal: 2012, als drei Suhrkamp-Bücher im Finale gestanden hatten, und dann Ursula Krechel gewann, verlegt von Jung und Jung. Bestimmte Muster wiederholen sich.

Der Stolz, in dieser Stadt ausgezeichnet zu werden

Bei solcher Konkurrenz ausgewählt worden zu sein – der sechste Finalist war Thomas Kunst mit „Zandschower Klinken“ (Suhrkamp) –, musste stolz machen. Besonders freute sich Antje Rávik Strubel aber darüber, dass sie mit dem Deutschen Buchpreis einen Frankfurter Preis gewann, also aus der Stadt, in der ihre verstorbene Mentorin Silvia Bovenschen lebte, der der Roman „Blaue Frau“ gewidmet ist. Am Schluss stellte die Siegerin selbstbewusst fest: „Rávik“ – ihr nom de plume – „und ich sind Schriftstellerinnen, nicht Schriftsteller, und als solche manchmal ausgezeichnet mit einem Sternchen“.  Und jetzt auch mit dem Deutschen Buchpreis.

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