#DNA gibt Einblick in den Ursprung der Hunnen

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Das Vordringen der Hunnen löste die spätantike Völkerwanderung aus und veränderte Europa nachhaltig. Doch woher diese nomadischen Reiterkrieger kamen und aus welcher Volksgruppe in Zentralasien sie hervorgingen, war bisher unklar. Jetzt zeigen DNA-Vergleiche: Anders als gedacht waren die meisten Hunnen keine Nachfahren der ostasiatischen Xiongnu-Steppennomaden. Stattdessen hatten sie sich schon bei ihrer Ankunft in Osteuropa mit vielen lokalen Völkern vermischt. Doch es gab auch Ausnahmen.
Um das Jahr 370 tauchten plötzlich große Gruppen von Reiterkriegern in der pontischen Steppe nördlich des Schwarzen Meeres auf: die Hunnen. Deren mit effizienten Bögen bewaffnete und kampfesstarke Verbände drangen im Verlauf der nächsten Jahrzehnte immer weiter nach Westen vor. “Ihre Kämpfe mit den Alanen und Goten löste eine Serie von Ereignissen aus, die den Lauf der Geschichte sowohl für das Römische Reichs als auch im ‘Barbaricum’ veränderte”, erklären Guido Gnecchi-Ruscone vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seine Kollegen. Die Ankunft der Hunnen markierte den Beginn der Völkerwanderung, in deren Rahmen Volksgruppen wie die Markomannen, die Vandalen und die Westgoten aus ihren angestammten Siedlungsgebieten verdrängt wurden und in das Gebiet des Römischen Reichs vorstießen.
Unter der Herrschaft von Attila um 440 bis 450 erreichte das Hunnenreich seine größte Ausdehnung. “Die Hunnen herrschten über zahlreiche ethnische Gruppen in Ostmitteleuropa”, berichten Gnecchi-Ruscone und sein Team. Durch ihre Eroberungen weiter Territorien wurden sie auch für das Römische Reich zu einer ernsten Bedrohung. Attila und die mit ihm verbündeten Gruppen drangen bis nach Germanien und Gallien vor. Allerdings schafften es die Hunnen nicht, dauerhaft in Mittel- und Südeuropa Fuß zu fassen. Nach Attilas Tod im Jahr 453 zerfiel das Hunnenreich relativ schnell wieder. “Dennoch wurde Attila zur Legende und bleibt bis heute eine der am besten bekannten historischen Persönlichkeiten”, schreiben die Forschenden.
Wo lagen die Wurzeln der Hunnen?
Doch eine Frage zu den Hunnen blieb bisher ungeklärt: Woher kamen diese Steppenreiter und welche Herkunft hatten sie? Einer Theorie nach lagen die Wurzeln der Hunnen bei den Xiongnu, einem nomadischen Volk, das in der Zeit zwischen 200 vor und 100 nach Christus über weite Teile des östlichen Zentralasiens herrschte. Zum Schutz vor diesem ersten Nomadenreich Asiens soll China seine Große Mauer errichtet haben. Das Problem jedoch: Zwischen dem Ende des Xiongnu-Reichs und dem Auftauchen der Hunnen liegen fast 300 Jahre. “Es gibt wenig archäologische oder historische Hinweise darauf, dass es während dieser Lücke Hunnen in der Steppe gab”, berichten Gnecchi-Ruscone und sein Team.
Deshalb war bislang strittig, ob die Hunnen tatsächlich aus den Xiongnu hervorgegangen sind. Um dies zu klären, haben die Forschenden die DNA von 370 Toten verglichen, die in der Zeit zwischen 200 vor und etwa 600 nach Christus gestorben und bestattet worden waren. Ihre Gräber liegen in einem Gebiet verteilt, das von der mongolischen Steppe im Osten bis ins Donaugebiet und in das Karpatenbecken Mitteleuropas reicht. Unter diesen Grabstätten sind auch einige, die typische Hunnen-Merkmale aufweisen, darunter Opferkessel und rituelle Tieropfer, aber auch Grabbeigaben wie Pferdegeschirre und Bögen.
Starke Vermischung
Die DNA-Analysen ergaben: Entgegen gängiger Annahme waren die Hunnen kein rein asiatisches Steppenvolk. “Wir finden keine Belege für die Präsenz eines großen Anteils östlicher Steppenherkunft unter den Hunnen und der Nach-Hunnen-Bevölkerung des Karpatenbeckens”, schreiben Gnecchi-Ruscone und seine Kollegen. Stattdessen zeigten die Toten eine hohe genetische Vielfalt selbst innerhalb der Hunnengräber. Die nach Mitteleuropa vorgedrungenen Hunnen waren demnach eher gemischter Abstammung. „DNA- und archäologische Beweise zeigen ein Mosaik von Abstammungen, das auf einen komplexen Prozess von Mobilität und Interaktion hinweist, anstatt auf eine Massenmigration”, sagt Co-Autorin Zsófia Rácz von der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest.
Damit unterschieden sich die Hunnen deutlich von den rund zwei Jahrhunderte später nach Europa vordringenden Awaren: „Die Awaren kamen direkt nach Europa, nachdem ihr ostasiatisches Reich von den Türken zerstört worden war, und viele ihrer Nachkommen trugen bis zum Ende ihrer Herrschaft um 800 noch beträchtliche ostasiatische Abstammung in sich”, erklärt Co-Autor Walter Pohl von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. “Die Vorfahren von Attilas Hunnen brauchten hingegen viele Generationen auf ihrem Weg westwärts und vermischten sich mit Bevölkerungen in ganz Eurasien.“
Netzwerk der Eliten
Doch es gab auch Ausnahmen, wie die DNA-Vergleiche enthüllten. Denn zwischen einigen Toten aus Elite-Gräbern der Xiongnu und den Toten aus einigen Hunnengräbern entdeckten Gnecchi-Ruscone und sein Team eine direkte genetische Verwandtschaft. „Es kam überraschend heraus, dass einige dieser Hunnen-Individuen in Europa Abstammungsverbindungen mit einigen der höchstrangigen kaiserlichen Elite-Individuen aus dem späten Xiongnu-Reich teilen“, berichtet Gnecchi-Ruscone. Diese Personen waren Teil eines Netzwerks, das sich vom späten Xiongnu-Reich in Ostasien über mehrere Jahrhunderte hinweg bis in das europäische Karpatenbecken erstreckte.
Damit bestätigen die DNA-Analysen zumindest einen Teil der traditionellen Sichtweise: Es gab direkte Verbindungen zwischen der Hunnenzeitbevölkerung, der Steppe und dem Xiongnu-Reich – aber diese direkten Nachfahren der Xiongnu waren eher die Ausnahme: „Obwohl die Hunnen die politische Landschaft dramatisch veränderten, bleibt ihr tatsächlicher genetischer Fußabdruck – abgesehen von bestimmten Elite-Grabstätten – begrenzt“, sagt Co-Autorin Zuzana Hofmanová vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. “Stattdessen scheint die Bevölkerung insgesamt überwiegend europäischer Herkunft zu sein und lokale Traditionen fortzusetzen, mit einigen neu eingetroffenen steppenbasierten Einflüssen.”
Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie; Fachartikel: Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2418485122
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