#Donald Trumps Wiederwahl ist nicht das schlimmste Szenario
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„Donald Trumps Wiederwahl ist nicht das schlimmste Szenario“
Ein Jahr nach dem Sturm auf das Kapitol würde man gern auf den Januar 2021 zurückblicken und eine Geschichte amerikanischer Widerstandsfähigkeit erzählen. Selbst als das Unvorstellbare geschah, als ein Mob vier Stunden lang im Herz der Demokratie randalierte, hielten die Institutionen dem Angriff stand.
In dieser Lesart wäre der Aufstand nur der Gipfel Trumpscher Vergeblichkeit gewesen. Schon in den Wochen zuvor war der abgewählte Präsident ja ein ums andere Mal daran gescheitert, das Wahlergebnis umzukehren. Die republikanisch dominierten Parlamente in Pennsylvania und Michigan konnte er nicht dazu bringen, die Wahlleute für Joe Biden gegen eigene Gefolgsleute auszutauschen. Der Wahlleiter von Georgia ließ sich nicht nötigen, 11 780 Stimmen zu „finden“, die Trump fehlten. Trumps Justizminister umschiffte den Auftrag, den lachhaften Wahlanfechtungen das Gewicht der Bundesstaatsanwaltschaft zu verleihen. Auch die Obersten Richter, zu einem Drittel von Trump ernannt, ließen ihn auflaufen.
Am 6. Januar scheiterte dann auch der vom vermeintlich mächtigsten Mann der Welt aufgehetzte Mob daran, den demokratischen Lauf der Dinge zu verändern. Nur wenige Stunden später als geplant bestätigte Trumps Vizepräsident Mike Pence die Zertifizierung von Bidens Sieg durch den Kongress. Der Demokrat wurde zwei Wochen später vereidigt.
Die Republikaner tanzen weiter auf dem Vulkan
Dennoch spricht heute wenig dafür, dass der Sturm aufs Kapitol als letzte Aufwallung des Trumpismus oder als kathartischer Moment in die Geschichte eingeht, dass demokratische Widerstandsfähigkeit die eigentliche Botschaft jenes Tages wäre. Zum einen, weil nur Glück Schlimmeres verhütete: Mehrmals wäre es in den Gängen des Kapitols um Haaresbreite zum Zusammenprall gewaltbereiter Trumpisten mit Volksvertretern gekommen, denen einige Wortführer den Tod wünschten, weil sie demokratische Blutsauger oder republikanische Verräter seien.
Vor allem verbietet sich die optimistische Deutung, weil schon nach wenigen Tagen die Hoffnung zerstob, dass die Republikaner mehrheitlich zur Besinnung kommen würden. Viele Abgeordnete und Senatoren aus Trumps Partei waren zwar im Mark erschüttert vom Furor der Geister, die sie gerufen hatten. Doch sie kapitulierten rasch vor der enormen Aufgabe, diese Geister zu bändigen, und setzten stattdessen den gefährlichen Versuch fort, mit ihnen auf dem Vulkan zu tanzen.
Als Parteiführer sitzt Trump bei den Republikanern heute fester im Sattel als Biden bei den Demokraten. Stabile 70 Prozent seiner Wähler glauben ihm: dass der eigentliche „Aufstand“ am 3. November 2020 passiert sei, weil man ihm da den Wahlsieg gestohlen habe; am 6. Januar sei nur dagegen protestiert worden. Wer im konservativen Lager standhaft die Demokratie verteidigt, Kompromisse mit Biden auslotet oder nur dessen Wahlsieg anerkennt, wird schnell zum Aussätzigen.
Der Großmeister der Enthemmung
Die düsterste Interpretation des Geschehens lautet deshalb, dass sich Trumps Kampf als eine Art Generalprobe herausstellen wird. Als Testlauf, um festzustellen, wo die Gesetze, Institutionen und handelnden Personen noch so fest in der Demokratie verankert sind, dass sie verhindern können, ein unliebsames Wahlergebnis umzukehren.
Zwischen Aufstand und Ausflug: Trump-Anhänger nach der Erstürmung des Kapitols in dessen Rotunde.
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Bild: AFP
Die Gefahr lässt sich nicht mit Hinweis auf Trumps legendäre Kurzsicht wegwischen. Trump hat zwar nicht das Zeug zum Mastermind und lässt sich als heißblütiger Narziss auch nicht ohne weiteres vor den Karren kaltblütiger Strategen spannen. Aber er ist der Großmeister der Enthemmung. Trumps Grenzverschiebungen, vor allem die Entkopplung von Fakten und Wahrheit, haben einer Vielzahl machthungriger Ideologen Platz zur Entfaltung geschaffen.
Die so naheliegende wie unheimliche Frage, ob Trump 2024 noch einmal antreten und gewinnen könnte, ist deshalb noch gar nicht die wichtigste. Das fortgesetzte Trump-Spektakel droht von den vielen kleinen Schritten abzulenken, die Republikaner bereits auf Ebene der Bundesstaaten ergriffen haben, um mehr Verfügungsgewalt über Wahlergebnisse zu erlangen. Bisher technokratische Verfahren werden politisiert; das verworrene Wahlrecht aus dem 19. Jahrhundert bietet dafür reichlich Spielraum. Ob davon Trump profitiert oder ein Trump-Schüler mit mehr als nur Show-Talenten, steht in den Sternen.
Eine Geschichte über demokratische Widerstandsfähigkeit im Amerika des Jahres 2022 brauchte andere Republikaner, aber auch einen stärkeren Helden als Joe Biden. Dessen Plan, die Amerikaner durch mehr Umverteilung erst mit dem Staat und dann miteinander zu versöhnen, ist gescheitert. Allenfalls eint die Amerikaner heute ein tiefes Misstrauen in Wahlen: Trumps Anhänger, weil sie sich um ihren Sieg geprellt sehen; Trumps Gegner, weil ihnen die Möglichkeiten zur Manipulation bewusst geworden sind. Die „älteste Demokratie der Welt“ ist morsch.
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