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#Du warst mir wichtig!

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Damals in Hallein. Noch gar nicht so lange her. Oder doch. Ein Jahrzehnt vielleicht. Da saß Brandauer nach der Probe neben uns an einem Biertisch auf der Perner Insel und erzählte vom Anfang. Tübingen. Düsseldorf. Stroux. Den Namen des heute längst vergessenen Intendanten zog er dabei im­mer wieder genüsslich in die Länge. Betonte ihn stärker und stärker. Bis Peter Stein, hinten im Hof an einem anderen Tisch sitzend, ihn hörte und gleich darauf antwortete – ebenfalls mit einem langgezogenen S-T-R-O-U-X. Als wäre das ein geheimes Codewort, eine Chiffre für ein verloren geglaubtes Stück Erinnerung. Irgendwo zwischen Madeleine und Matrix – als kämen den beiden bei diesem Namen ferne Theaterwelten und alte Textzeilen zurück in den Sinn.

Für uns, die dabeisaßen und den Kaffee und das Textbuch bereithielten – hin und wieder auch ein altgriechisches Wörterbuch, denn es war ja Sophokles’ „Ödipus“, der gerade geprobt wurde – für uns war das Erinnerungs-Impromptu der beiden ein seltsames Zwischenspiel. Etwas Hochhistorisches, von dessen aphrodisierender Wirkung alle anderen ausgeschlossen waren. Vergangene Zeit war es, was die beiden Theaterhelden, die sich erst im Alter kennengelernt und dann für einige späte Theaterarbeiten ineinander verliebt hatten, aneinanderband. Zeit, die sie beide von unterschiedlichen Balkonen aus vorüberziehen gesehen hatten. „Schon bei Kortner“: Der Satz fiel auf den Proben oft. Und hatte durchaus animierende Kraft. Konnte sowohl Regisseur als auch Hauptdarsteller von einer Idee, einer neuen Betonung überzeugen.

Mitreißende Unberechenbarkeit

Wer hätte gedacht, dass Brandauer seine lange Bühnenkarriere mit Peter Stein beschließen würde? Ihn, den die Wiener Anfang der Siebzigerjahre, als er am Burgtheater Shakespeares Prinzen spielte, den „österreichischen James Dean“ nannten. Ihn, der auch im Alter noch etwas Jünglingshaftes ausstrahlt, zutage tretend durch eine mitreißende Unberechenbarkeit, die von äußerstem Liebreiz plötzlich in bittere Boshaftigkeit umschlagen kann. Brandauer, der Volksschauspieler: ein später Spielgast beim textstrengen Herbergsvater Stein, dem Wirkungsstätte und Belegschaft abhandengekommen waren. Ein kleiner Coup der Theatergeschichte, nicht nur in dem zu fassen, was dadurch an Premieren zustande kam – ein „Wallenstein“, ein „Zerbrochener Krug“, ein „Ödipus“, ein „Letztes Band“ und ein „König Lear“ –, sondern auch durch den Kreis, der sich in der Zusammenkunft der beiden schloss. Eine Ära wurde dadurch beendet.

Klaus Maria Brandauer als Ödipus spielt während der Fotoprobe zu


Klaus Maria Brandauer als Ödipus spielt während der Fotoprobe zu „Oedipus aus Kolonos“ von Sophokles am Samstag, 24. Juli 2010,
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Bild: picture alliance / APN

Bran­dauers Charisma als international bekannter Filmschauspieler verdankt sich seiner Arbeit mit den großen Regisseuren des frühen deutschen Nachkriegstheaters: Fritz Kortner, Otto Schenk, Rudolf Noelte. Intuitiv suchte er am Ende seiner Karriere nach demjenigen, der als einziger seiner Generationsgenossen in diese Reihe passte. Aber auch das nur: für eine Zeit. Denn der Streit, die Trennung, der Abschied – all das spielt für Auftritt und Leben des Theaterschauspielers Klaus Maria Brandauer eine große Rolle. Seine Leidenschaft gilt dem Moment. Nichts hält ihn, der seine erste Frau früh verlor und seine künstle­rische Heimat bis heute stets von Neuem sucht, zu lang an einem Ort. Die größte Furcht, die ihn antreibt: Seine Zeit gehabt zu haben. Dabei liegt darin doch die größte Auszeichnung von allen – wenn die Zeit einen zu sich nimmt und flüstert: „Du warst mir wichtig“.

Wir haben seit jenem Nachmittag in Hallein nie wieder zusammengesessen. Einmal habe ich ihn nach einer Lesung in Wolfsburg noch kurz gesehen, da nahm er mir den Seitenwechsel vom Theater zum Journalismus übel. Mit Kritikern kann Brandauer wenig anfangen. Schon der Begriff riecht für ihn nach Verrat. Und doch träume ich manchmal von seinem Ödipus, sehe ihn auftreten, langsam, tastend, von links. Mit unüberschaubarer Ausdruckskraft. Mühsam gebändigt, wie ein gefesselter Tiger. Aber jetzt: ein plötzlicher Luftschlag, ein erstes, leises, spöttisches Wort. Und dann geht es los.

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