#„Du wirst dich nicht ergeben“
Inhaltsverzeichnis
„„Du wirst dich nicht ergeben““
In den vergangenen Jahren wird der russische Journalismus zunehmend aus dem Exil betrieben, und die nach dem Überfall auf die Ukraine verhängte Militärzensur hat noch einmal zahlreiche Journalisten in die Flucht geschlagen. Jetzt könnten koordinierte Lizenzentzugsentscheidungen gegen die „Nowaja Gaseta“, vor allem aber das am Montag in Moskau gefällte Urteil gegen Iwan Safronow ein neuerlicher Anlass sein, den Journalismus in Russland selbst für tot zu erklären.
Artikel, die der 32 Jahre alte Safronow in seiner Zeit als Rüstungs- und Weltraumfachmann der Moskauer Zeitung „Kommersant“ auf Grundlage anderer Medienberichte für einen tschechischen Kollegen und einen deutsch-russischen Politologen verfasste, um sich etwas dazuzuverdienen, wurden ihm als Hochverrat ausgelegt (F.A.Z. vom 6. September). Der Journalist als Spion, 22 Jahre strenge Lagerhaft: In keinem der zahlreichen, geheimen und daher undurchsichtigen Hochverratsverfahren in Russlands jüngerer Geschichte ist eine so hohe Strafe verhängt worden; Mörder und Terroristen können in Russland mit einem geringeren Strafmaß rechnen. Freunde und Kollegen im Gerichtssaal applaudierten Safronow, der stets seine Unschuld beteuert und sich auf kein strafmilderndes Kooperationsangebot seiner Verfolger eingelassen hat, riefen „Freiheit!“. Er werde allen schreiben, rief Safronow noch, bevor er aus dem Saal geführt wurde: „Schreibt! Ich liebe euch!“
Die Kollegen erinnern an viele Erfolge Safronows
Briefe sind für isolierte Häftlinge wie ihn das Tor zu Welt. So ist der offene Brief an „Wanja“ (Iwan), den Safronows frühere Kollegen am Dienstag auf die erste Seite des „Kommersant“ brachten, komplett mit der Adresse des Gefangenen im Untersuchungsgefängnis des Geheimdiensts FSB im Moskauer Stadtteil Lefortowo, Ermutigung, Solidarisierung, Selbstvergewisserung – und zugleich ein Lebenszeichen des nicht exilierten russischen Journalismus. Die Kollegen erinnern an viele Erfolge Safronows auf der Jagd nach exklusiven Nachrichten und daran, wie „du gezwungen wurdest, zu gehen“: Dafür soll 2019 der Eigentümer des Verlags des „Kommersant“, der kremlnahe Oligarch Alischer Usmanow, gesorgt haben, nachdem ein von Safronow mitverfasster Artikel über angebliche Rückzugswünsche der Präsidentin des Oberhauses, Valentina Matwijenko, deren Groll geweckt habe. Aus Protest verließ damals die gesamte innenpolitische Redaktion den „Kommersant“ (F.A.Z. vom 22. Mai 2019).
Jetzt schreiben die Kollegen von den persönlichen Qualitäten Safronows und beklagen, dass sie „dir nicht helfen konnten“. Zu anderen Zeiten „wärst du freigesprochen worden. Schon so ein Verfahren hätte es wohl nicht gegeben. Aber man sucht sich die Zeiten nicht aus.“ Dafür könne man entscheiden, wer man sein wolle, und Safronow sei in den zwei Jahren (seit der Festnahme) ein „Muster würdigen Verhaltens“ gewesen: „Du hast dich nicht ergeben und wirst dich jetzt nicht ergeben.“ Die Kollegen schließen: „Wir lieben dich, wir glauben an dich. Wir warten auf dich.“
Hochverrat, sagte Putin damals
Dmitrij Peskow, der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, hat das Urteil gegen Safronow als „sehr streng“ bezeichnet, verweigerte aber weitere Kommentare, zu denen er nicht berechtigt sei (auf dem Papier ist Russlands Justiz unabhängig). Schon Ende 2020, als offiziell noch ermittelt wurde, hatte Putin Safronow als bereits verurteilt dargestellt und die Verfolgung mit einer Spionage Safronows während dessen Tätigkeit für die Weltraumbehörde Roskosmos erklärt. Für diese hatte Safronow aber nur die letzten zwei Monate vor seiner Festnahme gearbeitet, und die Vorwürfe fallen nicht in jene Zeit. Hochverrat, sagte Putin damals, sei „Verrat am Volk“, und „Verräter müssen streng bestraft werden“. Peskow sagte danach, Putin habe sich mit Blick auf die vermeintliche Verurteilung sowie den Zusammenhang mit Roskosmos „versprochen“, was nichts am „Gesamtsinn“ der Präsidentenworte ändere.
Freilich hatte Putin auch gesagt, eine Verfolgung wegen Verrats sei „völliger Quatsch“, wenn es um offen zugängliche, nicht geheime Informationen gehe. So wie bei Safronow – der nun trotzdem verurteilt wurde. Putin selbst wollte am Mittwoch das Urteil nicht „bewerten“, verwies auf eine mögliche Berufung, meinte aber, Safronow habe nicht nur als Journalist und Roskosmos-Berater, sondern auch „für einen westlichen Geheimdienst“ gearbeitet.
„Faktisch ist das ein Verbot, über die Armee und mit ihr verbundene Themen zu schreiben“, kommentierte das aus Riga betriebene Newsportal „Medusa“ das Urteil. Die Machthaber seien bereit, diejenigen, die in Russland blieben und versuchten, Journalismus zu betreiben, zu vernichten. „Wir wünschen Iwan Freiheit, seinen Nächsten, standzuhalten, und denen, die ihn eingelocht haben, ein faires und baldiges Verfahren.“
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.