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#Durch Hitlers Brille

„Durch Hitlers Brille“

Die große Lust am Weitererzählen do­miniert nicht nur die Welt von Netflix und Co, schon lange sind „Prequels“ und „Sequels“ auch in der gedruckten Lite­ratur vertraute Begriffe und Phänomene. Was uns Rezipienten an Serien un­terschiedlichster Provenienz zu fesseln scheint, ist nicht nur unsere schiere Neugier, zu erfahren, wie eine Geschichte weitergeht oder was ihr vorausging, es ist auch das Wissen darum, dass jeder neue Teil das bereits Gelesene oder Ge­sehene im Nachhinein verändern wird: Im besten Falle ergibt sich aus dieser hermeneutischen Dauerschleife ein äs­thetischer Mehrwert.

John Boynes Welterfolg „Der Junge im gestreiften Pyjama“ gehört auf den ersten Blick nicht zu den Romanen, die nach einer Fortsetzung verlangen, denn die Geschichte scheint eigentlich aus­erzählt: Immerhin stirbt ihr Protagonist, der neunjährige Bruno, gemeinsam mit seinem jüdischen Freund Schmuel am Ende der Erzählung den grausamen Tod in der Gaskammer eines Konzen­tra­tionslagers, das sein Vater befehligt. Die vielen Leerstellen, die bleiben, müssen von den Lesern gefüllt werden – und machen für die meisten wohl den Charme des Romans aus. Freilich gab es auch harte Kritik, denn einigen Rezensenten erschien das Werk als eine verkitschte, völlig unplausible Trivialisierung des Holocausts. Wohlwollende Be­sprechungen wiesen dagegen darauf hin, dass Boyne einiges dafür getan ha­be, dass seine Erzählung eben nicht historisch gelesen werde, sondern „nur“ als Gleichnis beziehungsweise „Fabel“.

Was macht Brunos Schwester Gretel?

Jetzt hat der irische Autor dennoch ein „Sequel“ vorgelegt und erzählt in „Als die Welt zerbrach“ die Geschichte von Brunos Schwester Gretel weiter, die anders als ihr drei Jahre jüngerer Bruder den Krieg überlebt und danach gemeinsam mit der Mutter mit gefälschten Iden­titäten untertauchen kann. Der Va­ter wird – wie sein historisches Vorbild Rudolf Höss – hingerichtet. Vieles an diesem Roman ist anders als bei seinem Vorgänger: Gretel berichtet aus der Ich-Perspektive, die Erzählung gibt sich historisch einigermaßen kontrolliert und will offenbar – so informiert Boyne im Nachwort zur englischen Ausgabe, das bemerkenswerterweise nicht in die deut­sche übernommen wurde – eruieren, wie schuldig ein junges Mädchen unter diesen Umständen werden kann und ob es ihm jemals gelingt, sich von den fürchterlichen Taten, die geliebte Menschen begangen haben, zu befreien.

Die Antworten, die der Roman an­bietet, sind erschütternd – allerdings in einem anderen Sinne, als John Boyne es wohl geplant hat. Der Leser erlebt auf unterschiedlichen Zeitebenen eine Frau, die sich durch Flucht ihrer Verantwortung entzieht, immer getrieben von der Angst, für die Verbrechen ihres Vaters im Gefängnis zu landen. Dabei war sie erst zwölf, als sie mit ihrer Familie 1943 nach Auschwitz – den Namen nimmt sie auch im hohen Alter nie in den Mund – zog, und damit im juristischen Sinne nicht verantwortlich für das, was dort un­ter dem Befehl ihres Vaters geschah, auch wenn sie sich am Tod ihres Bruders mitschuldig fühlt. Nach dem Krieg wird sie jedoch zusammen mit ihrer Mutter von ehemalige Kämpfern der franzö­sischen Résistance enttarnt und brutal misshandelt. Fortan ist Gretel trauma­tisiert und tut alles, um ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen, was ihr jedoch nur schwer gelingt, auch weil (wenig glaubwürdige) Zufälle es verhindern.

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