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Eigentumsfrage um leeres Grab untersucht

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Das Grab ist leer. Der Deckel des Sarkophags lehnt vor dem Kasten. Rechts sitzt geradezu leger der Engel. Mit der rechten Hand zeigt er auf den Spalt, der im Elfenbeinrelief die Illusion eines Hohlraums schafft. Links stehen die drei Frauen, die kugelförmigen Ölgefäße haben sie nicht aus den Händen gelegt, obwohl der Leichnam verschwunden ist, den sie salben wollten. Der Schnitzer hat sie am Rand zusammengedrängt, damit möglichst viel Raum leer bleibt.

Die Wächter schlafen nicht

Über dem Sarg­deckel ist ein Schriftband drapiert. Die Inschrift bricht im dritten Wort ab: ECCE LOCUS UB. Fromme Betrachter konnten den sechsten Vers aus dem sechzehnten Kapitel des Markusevangeliums vervollständigen: Ecce locus, ubi posuerunt eum – Seht hier, der Ort, wo sie ihn abgelegt haben. Die Gruft ist eine Krypta. Oberhalb der Sargöffnungsszene hat der Künstler die Wächter postiert. Er hat sie nicht schlafend dargestellt, sondern hellwach gestikulierend. Sie ­blicken hinunter, und ihre spitz zu­laufenden Schilde scheinen hinunter zu zeigen. So werden die Soldaten, die Pilatus laut Matthäus abstellte, weil die Hohepriester den vermeintlichen Betrüger aus Nazareth noch im Tod bekämpfen und dem Grabraub als Akt der Religionsstiftung durch Lug und Trug mit eigener List zuvorkommen wollten, in den Dienst der Verkündigung genommen: Als unverdächtige Zeugen folgen sie als Erste der Aufforderung zum Hinsehen. Der aus dem Elfenbein herausgearbeitete Ort, auf den wir blicken, wenn wir im Berliner Kunstgewerbemuseum vor der Vitrine mit dem Kuppelreliquiar aus dem Welfenschatz stehen, ist eingemauert in einen Kirchenbau, der 45,5 Zentimeter hoch ist.

Das Behältnis für den Kopf des Kirchenlehrers Gregor von Nazianz, ein Gemeinschaftswerk von Goldschmieden und Elfenbeinskulpteuren, hergestellt wohl in Köln gegen Ende des zwölften Jahrhunderts, ­illustriert den Aufwand, der zur Beglaubigung des phantastischen Literalismus getrieben wurde, der sich bei der Weitergabe der Botschaft vom leeren Grab entwickelte: Der Leib des Gekreuzigten hat sich aufgelöst, ohne zu Staub zu zerfallen – dass diese Geschichte wahr ist, soll man daran sehen, dass die Knochen seiner treuesten Anhänger Wunder bewirken. Ob der Welfenschatz, den der deutsche Staat 1935 einem Konsortium jüdischer Kunsthändler abkaufte, Ei­gen­tum der Berliner Museen bleiben soll, wird die Beratende Kommission für NS-Raubgut jetzt noch einmal neu untersuchen. Eine ausführliche Schilderung der komplizierten Geschichte des wechselnden Eigentums an der Sammlung von Gerätschaften, die ursprünglich bis zum Jüngsten Tag dem heiligen Blasius gehören sollten, dem Patron des Braunschweiger Doms, steht heute in unserer Beilage Bilder und Zeiten. In dieser Geschichte kommen etliche wundersame Ereignisse vor, die sich freilich mit den Gesetzen des Kunstmarkts erklären lassen.

Patrick Bahners: Über die Genese des Welfenschatzes und seine wechselnden Besitzverhältnisse lesen Sie in “Bilder und Zeiten“ im E-Paper der Samstagsausgabe der F.A.Z.

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