#Ein brutaler Check gegen den Kopf
Inhaltsverzeichnis
„Ein brutaler Check gegen den Kopf“
Der Spannungsabfall war bewusst gewählt. Toni Söderholm gestattete den Spielern eine Form des Müßiggangs, die sie bis dahin während des Aufenthalts in Lettland noch nicht kennenlernen durften. Am Donnerstag stand für sie eine spezielle Form des Sightseeings auf dem Programm.
Begleitet von einer Polizeieskorte, wurde die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) an die Ostseeküste chauffiert, wo sie an einer ansonsten menschenleeren Sanddüne die Gelegenheit bekam, zwei Stunden „durchzuatmen“, wie es Sportdirektor Christian Künast beschrieb: „Dort konnten sie sich frei bewegen und die Seele baumeln lassen.“ Es war das erste Mal im Rahmen dieser Weltmeisterschaft, dass die Mannschaft – abseits der Hotelbalkone – frische Luft schnappen konnte.
Als „lebenseinschränkend“, bezeichnete Franz Reindl die Umstände, unter denen aktuell die 16 besten Nationen der Welt in Riga um den Titel wetteifern. In Anbetracht der Corona-Pandemie ist das Turnier für alle Beteiligten mit einer Vielzahl von Einschränkungen verbunden. Umso positiver fiel das Zwischenfazit des DEB-Präsidenten aus. „Sehr, sehr zufrieden“ sei er mit den bisherigen Darbietungen des eigenen Teams, aber auch der Bereitschaft aller Konkurrenten, aus einer ungewöhnlichen Situation das denkbar Beste zu machen: „Es gibt viele unerwartete Ergebnisse, und allen Athleten gebührt ein Dank“, lautete Reindls Erkenntnis aus der ersten Veranstaltungswoche.
Keine Planungssicherheit
Auch Söderholms Ensemble musste schmerzhaft erkennen, dass es Planungssicherheit diesmal so schnell nicht gibt. Aus der frühzeitigen Qualifikation fürs Viertelfinale, die durch einen Sieg über Kasachstan mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestanden hätte, wurde nichts. Wer dachte, dass es gegen den Aufsteiger in die A-Division ähnlich erfolgreich weitergehen würde wie in den ersten drei gewonnenen Partien, darunter die High-Voltage-Vorstellung gegen Kanada, wurde beim vierten Match binnen sechs Tagen eines Besseren belehrt.
Was Söderholm und Reindl in der Nachbetrachtung mehr schmerzte als die ärgerliche 2:3-Niederlage war der Ausfall von Lukas Reichel. Der 19-jährige Stürmer von den Eisbären Berlin, der im Sommer in die NHL zu den Chicago Blackhawks wechselt, stand vom zweiten Drittel an nicht mehr zur Verfügung; und damit fehlte dem Angriff ein bis dahin belebendes Element.
Sichern Sie sich mit F+ 30 Tage lang kostenfreien Zugriff zu allen Artikeln auf FAZ.NET.
Der Youngster war Opfer einer Attacke des Kasachen Ivan Stepanenko geworden, der ihn ohne Rücksicht auf Verluste über den Haufen fuhr. Es war eine Aktion, die es eigentlich in einer Sportart, deren Vordenker seit Jahren bemüht sind, die mit der Jagd nach dem Puck verbundenen gesundheitlichen Risiken zu minimieren, nicht mehr zu sehen geben soll. Besonders rücksichtslose Checks werden missbilligt. Umso erstaunlicher, dass vier Referees nicht eingriffen. Entsprechend erbost war Reindl. „Da trifft die Schulter den Kopf, das geht nicht, das muss unterbunden werden“, sagte der DEB-Präsident. „Das ist ein No-Go.“
Gesundheit über allem
Er zeigte sich sicher, dass Stepanenko für sein Vergehen nachträglich vor den Disziplinar-Richtern zur Rechenschaft gezogen wird. Bereits im zweiten Spiel gegen Norwegen waren Markus Eisenschmid und Maximilian Kastner zu Opfern von Checks gegen den Kopf geworden, nur einmal gab es eine Strafzeit. „Es hilft uns nichts, dass ein Spieler im Nachhinein gesperrt wird“, klagte Söderholm, der ankündigte, Vorsicht walten zu lassen, ehe er Reichel, der am Beginn seiner Karriere steht, wieder einsetze. Die Gesundheit stehe über allem, sagte auch Künast, der davon berichtete, dass die Teamärzte den Teenager eingehender untersuchen müssten, um abzuklären, ob er eine Gehirnerschütterung, die sein WM-Aus bedeuten könnte, davongetragen habe: „Lukas geht es so weit gut.“
Erst am Samstag müssen die Deutschen wieder ran. Dann gegen Finnland, den Champion von 2019, der bislang aber noch nicht zu dominanter Form fand. Und deswegen glaubt Dominik Kahun trotz oder gerade wegen des Rückschlags gegen die Kasachen an eine überzeugend ausfallende Reaktion der Kollegen. Der NHL-Profi der Edmonton Oilers traf am Mittwoch nachträglich ein und begab sich umgehend in Einzelquarantäne im Hotelzimmer.
Sollten alle Corona-Tests negativ ausfallen, kann er vom Wochenende an mit der Gruppe trainieren, frühestens gegen die Vereinigten Staaten am Montag ist sein WM-Debüt möglich. Für ihn sei es eine „Ehre“, beim Nationalteam dabei zu sein, sagte der 25-Jährige, der binnen einer Stunde nach dem Aus seines kanadischen Klubs im Kampf um den Stanley Cup den Entschluss fasste, ins Baltikum aufzubrechen.
Noch sei er „sehr, sehr müde“, berichtete er von den Folgen des Jetlags, doch er könne „es kaum erwarten, aus dem Zimmer raus zu dürfen und aufs Eis zu gehen“. Bei den Oilers saß er bei den finalen Saisonpartien nur auf der Tribüne. „Jetzt bin ich heiß und will hier Gas geben“, sagte der frühere Münchner, der schon bei den Winterspielen in Pyeongchang zu den tragenden Säulen der Mannschaft zählte, die die Silbermedaille gewann. Die ausgeglichene Ausgangslage erinnere ihn durchaus an Olympia, sagte er.
„Jeder hat bei der WM die Chance, etwas zu reißen.“ Wobei der Teamspirit den Unterschied zugunsten der Deutschen machen könne. „Alle sind füreinander da“, sagte Kahun, „das ist die beste Voraussetzung, um etwas zu gewinnen.“ Er sei zwar verspätet nachgereist, wolle dafür aber länger bleiben. Und das bedeute: am besten nicht abreisen, bevor die Medaillen am ersten Juniwochenende vergeben werden. „Ich bin gekommen“, sagte der Stürmer, „um so weit wie möglich zu kommen.“
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.