Ein Gasriese um einen kleinen Zwergstern

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Normalerweise werden massearme Rote Zwergsterne eher von kleineren Gesteinsplaneten umkreist – die Masse ihrer gemeinsamen Urwolke reicht nicht für größere Gasriesen. Doch jetzt haben Astronomen einen rund 240 Lichtjahre entfernten Zwergstern entdeckt, der zwar nur 0,2 Sonnenmassen schwer ist, aber einen Gasriesen als Begleiter hat. Der Exoplanet TOI-6894b ist etwas größer als der Saturn und rund halb so schwer wie dieser. Sein kleiner Mutterstern ist damit der bisher masseärmste Zwergstern mit einem solchen Gasriesen, wie das Team berichtet. Noch ist unklar, wie dieser Gasplanet entstanden sein kann, weil zwar einige Szenarien plausibel sind, aber keine die Bildung des Gasriesen vollständig erklären kann. Die Astronomen hoffen, dieses Rätsel durch kommende Beobachtungen mit dem James-Webb-Teleskop lösen zu können.
Drei Viertel aller Sterne in unserer Milchstraße sind Rote Zwerge – kühle, lichtschwache Sterne mit deutlich geringerer Masse als unsere Sonne. Sie gelten als besonders aussichtsreiche Kandidaten für Planetensysteme mit erdähnlichen Welten. Denn gängiger Theorie nach entstehen um solche Zwergsterne vorwiegend kleinere Gesteinsplaneten ähnlich unserer Erde, weil Planeten in der gleichen Wolke aus Staub und Gas entstehen, die auch ihren Zentralstern hervorbrachte. Die Materialmenge in einer solchen Akkretionsscheibe bestimmt daher, wie groß der Stern werden kann und wie viel für seine Planeten übrig bleibt. Reicht das Material nur für einen Zwergstern, bilden sich gängiger Theorie nach nur kleine Gesteinsplaneten in seinem Orbit. Beispiele für solche Roten Zwerge mit kleineren Planeten sind beispielsweise der 40 Lichtjahre entfernte Stern TRAPPIST-1 mit seinen sieben erdähnlichen Planeten oder unser Nachbarstern Proxima Centauri. In den letzten Jahren haben Astronomen jedoch einige Rote Zwerge entdeckt, die trotz ihrer geringen Masse von einem oder sogar mehreren Gasriesen umkreist werden. Doch ob dies nur extreme Ausreißer sind, wie diese Planeten zustande kamen und wie häufig solche Gasriesen um Zwergsterne auftreten, ist bislang ungeklärt.
Masseärmster Stern mit großem Gasplaneten
Jetzt haben Astronomen um Edward Bryant von der University of Warwick in Großbritannien eine weitere dieser extremen Paarungen entdeckt. Für ihre Studie hatten sie Daten des Transiting Exoplanet Survey Satellite (TESS) der NASA zu mehr als 91.000 massearmen Roten Zwergen ausgewertet. Das Weltraumteleskop ist darauf ausgelegt, Lichtkurven von Sternen aufzuzeichnen und dadurch mögliche Transitereignisse aufzuspüren – Passagen von Exoplaneten vor ihrem Stern. Bei dem rund 238 Lichtjahre entfernten Zwergstern TOI-6894 wurden die Astronomen fündig. Die Lichtkurve dieses Roten Zwergs zeigte eine regelmäßige, deutliche Abschattung alle 3,3 Tage – ein Hinweis auf einen größeren, den Stern umkreisenden Planeten. Darauf nahmen Bryant und sein Team diesen Stern mit mehreren erdbasierten Teleskopen, darunter dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile, ins Visier.
Die neuen Beobachtungen bestätigten, dass der Rote Zwerg TOI-6894 von einem Planeten umkreist wird. Der Exoplanet TOI-6894b ist rund 53 Erdmassen schwer und hat damit gut die halbe Masse des Saturn, ist aber etwas größer als dieser. „Damit ist TOI-6894b unseren Analysen zufolge ein Planet mit sehr geringer Dichte“, erklären die Astronomen. Es handelt sich demnach um einen Gasriesen. Das Besondere an diesem Planeten ist jedoch, um welchen Stern er kreist. Denn der Rote Zwerg TOI-6894 hat nur 0,2 Sonnenmassen und nur 20 Prozent der Größe unserer Sonne. „Damit umkreist der Gasriese TOI-6894b den masseärmsten Stern mit einem solchen großen Gasplaneten“, erklärt Bryant. „Wir haben nicht erwartet, dass Planeten wie TOI-6894b um Sterne mit so geringer Masse entstehen können.“ Denn bei der Planetenbildung durch die sogenannte Kernakkretion muss ein Gasriese zunächst genügend Staub und Brocken anziehen, um einen massereichen festen Kern zu bilden. Dessen Schwerkraft zieht dann große Gasmengen an, aus denen sich die dicke Gashülle dieser Planeten bildet. „Bei massearmen Sternen liegt die Haupthürde jedoch in den begrenzten Mengen an festem Material in ihrer protoplanetaren Scheibe“, erklären die Astronomen.
Wie ist TOI-6894b entstanden?
Gasriesen um sehr massearme Sterne wie TOI-6894 sind daher durch dieses Szenario der Planetenbildung nur schwer zu erklären. Eine Möglichkeit wäre, dass TOI-6894b zwar nicht genügend Kernmasse akkumulierte, um schnell große Gasmengen anzuziehen. „Stattdessen könnte der Planet durch einen intermediären Kernakkretionsprozess entstanden sein, bei dem ein Protoplanet Gas stetig akkumuliert, ohne dass der Kern massiv genug für unkontrollierte Gasakkretion wird“, erklärt Bryant. Bei diesem Szenario wächst der Planet langsam heran, indem er gleichzeitig schwere Elemente und Gas aus der Akkretionsscheibe an sich zieht. Eine solche intermediäre Entstehung wird für kleinere Gasriesen mit weniger Masse als Saturn diskutiert. „Allerdings erfordern sowohl die klassische Kernakkretion als auch die Sub-Saturnbildung eine ausreichende Masse schwerer Elemente in der protoplanetaren Scheibe“, schreiben die Astronomen. Modellen zufolge müsste der Rote Zwerg TOI-6894 demnach mindestens 120 Erdmassen an festem Material in seiner Urwolke aufgewiesen haben, um den rund zwölf Erdmassen schweren Kern seines Gasplaneten zu bilden. Ob das der Fall war, ist unklar.
Alternativ könnte der Gasriese TOI-6894b auch durch den gravitativen Kollaps von Gas und Staub in einem Teil der Akkretionsscheibe entstanden sein. Diese Planetenbildung wird für einige massereiche Gasriesen angenommen, auch Jupiter in unserem Sonnensystem könnte einigen Theorien zufolge auf diese Weise entstanden sein. „Simulationen legen nahe, dass auch dieser Mechanismus einen plausiblen Bildungsweg für TOI-6894b darstellt“, schreiben Bryant und sein Team. Allerdings könnte keine der diskutierten Theorien die Bildung dieses Exoplaneten vollständig erklären. „Dieses System stellt eine neue Herausforderung für Modelle der Planetenbildung dar und bietet ein sehr interessantes Ziel für Nachfolgebeobachtungen“, erklärt Co-Autor Andrés Jordán vom Millennium Institut für Astrophysik in Santiago. Das Astronomenteam hat bereits Beobachtungszeit am James-Webb-Weltraumteleskop beantragt, um TOI-6894b und seine Gashülle mit den hochauflösenden Infrarotspektroskopen des Teleskops zu untersuchen. Die Zusammensetzung der Atmosphäre kann mehr Informationen dazu liefern, wie Gashülle und Kern zusammengesetzt sind und damit Rückschlüsse auf seine Bildung erlauben.
Quelle: Edward Bryant (University of Warwick, UK) et al., Nature Astronomy, doi: 10.1038/s41550-025-02552-4

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