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#Ein Gruß vom Götz

Ein Gruß vom Götz

Vom hohenlohischen Dörfchen Berlichingen kannte ich bislang nur den von dort abstammenden historischen Rittersmann Götz, das goethesche Drama dazu und den damit verbundenen sogenannten „Schwäbischen Gruß“, der aber in nämlicher Gegend kaum noch als Invektive, eher als Ausdruck des umfassenden Erstaunens gebraucht wird. Überhaupt nicht wusste ich hingegen, dass der idyllisch gelegene Flecken zwischen Jagsthausen und Kloster Schöntal auch mal der Sitz einer respektablen jüdischen Gemeinde war und als florierendes „Judendorf“ galt, mitsamt Synagoge, Mikwe (Frauenbad) und Bezirksrabbinat.

Die damals vorgeschriebenen zweitausend Ellen vom Ort entfernt, hoch über dem Jagsttal, liegt daher auch der alte jüdische Friedhof Berlichingens, der größte Landfriedhof Nordwürttembergs. Eher zufällig spazierte ich eines Sommertags daran vorbei, als mich ein im Schatten rastender und wohl auch wartender Gesell um Hilfe bat: Sein Rasenmäher, mit dem er den Zugang zum Friedhof habe bearbeiten wollen, sei mal wieder kaputt. Er bekomme ihn nicht allein auf seinen Hänger gewuchtet. Ich packte mit an und stellte eine Frage nach der Begräbnisstätte. Da meinte der Bursche, er sei hier nur der ehrenamtliche Landschaftspfleger, eigentlich sei er Luft- und Raumfahrtingenieur und Jäger – darüber hinaus mache er aber auch Führungen über diesen 1568 erstmals schriftlich erwähnten Friedhof. Und weil ich so brav mit hochgewuchtet hätte, setze er jetzt gleich eine ins Werk. Ich kam aus dem Wundernehmen nicht mehr hinaus.

1568 erstmals schriftlich erwähnt: Jüdischer Friedhof in Berlichingen


1568 erstmals schriftlich erwähnt: Jüdischer Friedhof in Berlichingen
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Bild: Oliver-Maria Schmitt

Zu fast jedem der gut 1200 Grabsteine hatte der Weltraumjagdpfleger und Lokalhistoriker Ludwig Eckert eine Geschichte zu erzählen. Er startete mit der Frühen Neuzeit („Kolumbus entdeckt Amerika, und in Stuttgart wird die Kehrwoche eingeführt“), berichtete von den vielen verschiedenen und über die Jahrhunderte immer hinterhältiger werdenden Formen der Judendrangsalierung, -auspressung und -ausbeutung auf deutschem Boden, von der Geschichte der jüdischen Nachnamensgebung von Benjamin und Löw über Oppenheimer und Hanauer bis hin zu Gutman, Friedmann und Stern. Und natürlich vom weltweit verbreiteten jüdischen Nachnamen Berlinger, der sich auf sein, Eckerts, Heimatdorf Berlichingen beziehe: „Wir Berlinger sind keine Egoisten, wir haben eine Ich-Schwäche, wir sagen nicht ‚Berlichingen‘. Wer von hier ist, ist ein Berlinger.“ Auch wenn andere behaupten mögen, der Familienname Berlinger/Berlinguer/Berliner beziehe sich auf Berlin – ich glaube davon kein Wort mehr. Sicher ist nur, dass Kennedy seinerzeit ausgerechnet vor dem Schöneberger Rathaus bekannte: „Eesh bin ayn Berlinger.“

Ludwig Eckert pflegt das jüdische Erbe Berlichingens - und den Rasen.


Ludwig Eckert pflegt das jüdische Erbe Berlichingens – und den Rasen.
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Bild: Oliver-Maria Schmitt

So zogen wir unter mächtigen Rotbuchen und Eichen von Stein zu Stein. Still und stumm standen die Grabmale – das älteste von 1659 – und trotzen jeglichen Zeiten, denn jüdische Friedhöfe sind für die Ewigkeit geschaffen und erfüllen ihren Verwahrungsdienst bis zum Jüngsten Tag. Bemoost, begrünt und mit Flechten bedeckt, umgab uns das beredte Heer der Lithoglyphen. Bald schief, bald krumm und hinfällig, schon torkelnd und taumelnd vollführten sie den ewiglichen Totentanz, den petrifizierten Superslowstep zum Sound von Kaddisch, Hohelied und Memento mori: „Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.“


Bild: lev

Und Eckert berichtete von seinem mittlerweile hinfälligen Lehrer, einem „echten Achtundsechziger“, der habe sich in Berlichingen erstmals und gegen erhebliche Widerstände mit der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte der Ortschaft befasst, die auf diesem Friedhof im Jahr 1940 mit der letzten Beerdigung endete. Seitdem leben keine Juden mehr in Berlichingen. Und nun, da sein Lehrer alt sei, mache er, Eckert, eben die Führungen über den jüdischen Gottesacker, versehe die Pflege und habe unten im Ort bei der Aufstellung der Infotafeln zur verschwundenen israelitischen Gemeinde mitgewirkt.

„Einer muss es ja machen“, sprach der jagende Raumfahrthistoriker, schwang sich auf seinen kleinen Traktor mit Hänger und kaputtem Mähgerät und tuckerte von dannen. Da stand ich nun wieder: allein, hoch über der Jagst, um tausend Eindrücke reicher. Und ich staunte nicht schlecht, ziemlich sicher in den wohlgesetzten Worten des Ritters mit der eisernen Hand: Ha, leck mich doch im Arsch!

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