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#Ein Kurort im Ausverkauf

Ein Kurort im Ausverkauf

Bad Gastein, nach dessen Modell David Schalkos Bad Regina offensichtlich gebaut ist, war einmal eines der mondänsten Kurbäder Europas. Kaiser und Könige besuchten das Weltdorf in den Hohen Tauern, durch dessen Mitte ein Wasserfall schneidet wie ein blitzblankes Messer durch die Sachertorte. Dann wurden Bäder und Grandhotels geschlossen, und seither herrscht hier nur noch Verfall: morbide blätternde Fassaden, bröckelnder Stuck, vernagelte Fenster, vernagelte Köpfe. Neuerdings gibt es aber wieder ein paar Lebenszeichen. Bad Gastein, einst wegen seiner steilen Skyline als „Manhattan der Alpen“ und noch heute als Monte Carlo des Salzkammerguts beworben, wird gerade von Berliner Hipstern als „Berlin der Alpen“ wiederentdeckt.

Schalkos Bad Regina ist ein lost place des pittoresken Verfalls, eine Parabel auf den Untergang des alten Europas im Allgemeinen und die österreichischen Untergeher im Besonderen. Alle wollen weg von hier, selbst die Bienen, Katzen und letzten Piefke-Touristen. Die letzten Einheimischen verkaufen Haus und Hof und Würde an einen potenten chinesischen Investor und hoffen, dass niemand sie beim Ausverkauf der Heimat erwischt. Ganze 44 Menschen hausen noch in Bad Regina, jeder eine Ruine unter Ruinen, die sich wortreich und tatenlos „beim eigenen Verschwinden zuschaut“.

Der sündige Pfarrer

Fast jeder von ihnen bekommt bei Schalko eine Geschichte, einen Spleen, einen running gag zugeteilt; zu tieferen Abgründen und schärferen Konturen reicht es selten. Da ist der schöne Pfarrer Helge, der als Mörder im Gefängnis saß und jetzt Moral predigt. Der betrügerische Zahnarzt, der gesunde Zähne zieht (nie mehr als dreißig Prozent, damit es nicht auffällt). Der Bahnhofsvorsteher träumt vom Zug nach nirgendwo, der Polizist von der Transfrau Petra (aber nicht von ihren genderfluiden Erscheinungen als Peter oder Petzi).

Der Hotelier Moschinger hat bei Ebay für dreitausend Euro die Lederhose von Thomas Bernhard ergattert und sondert jetzt dauernd krachlederne Bernhardiana ab: „Österreich ist kein Land. Österreich ist eine Geisteskrankheit. Dem Österreicher fehlt ein Gen. Er hat kein Unrechtsbewußtsein. Es handelt sich um einen von Grund auf verdorbenen Menschen.“ Und der Bürgermeister Zesch, nach Art der Haiders und Straches rechtspopulistisch fesch und skrupellos, tut alles, um ins Klischee zu passen. Seine alles sehende Mutter hält sich für „Gottes zuverlässigste Zeugin“, seine Frau pflegt eine trotzige Ausländerliebe: „In mir steckt auch eine Flüchtige, aber ich konnte es halt nie so ausleben wie Sie.“

Autor David Schalko


Autor David Schalko
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Bild: Picture-Alliance

Mitten im Gewimmel zwischen Wasserfall, Luziwuzi-Bar und Grandhotel Abgrund, aber politisch und moralisch eher am Rande steht Othmar, ein spitzbäuchiger Trinker, ehemals links, heute zu passiv und müde, um sich noch zu empören. Früher war er mal in einer Punkband aktiv, und sein „Krake“ war der angesagteste Club diesseits der Alpen. Jetzt lebt er lustlos und lässig vom Pflegegeld, das sein Schützling, ein im Koma liegender Techno-DJ aus Manchester, bezieht. Othmars Freundin Selma ist krebskrank, aber ziemlich fidel; überhaupt sind die Frauen in Bad Regina deutlich lebenstüchtiger und aufgeweckter als die Männer.

Schalko beschreibt in kurzen, pointierten Sätzen Typen, Szenen und Säuferdialoge aus dem Irrenhaus Österreich. Das ist oft witzig, manchmal irrwitzig oder sogar kafkaesk-surreal, aber doch mehr Hochleistungskabarett als Roman. Erst im zweiten Teil bekommt das Untergeher-Wimmelbild dann so etwas wie einen Plot: Chen, der kapitalkräftige Chinese, will Bad Regina in einen Erlebnispark umwandeln, in dem jeder sich selbst spielt, selbstverständlich unter Beibehaltung seiner „Würde“. Von Hallstatt und Neuschwanstein gibt es ja auch schon originalgetreue Nachbauten in China.

Nicht ohne Schmäh und Schmackes

Man spürt in jedem Satz, dass Schalko gelernter Werbetexter ist. Mit Fernsehserien wie „Braunschlag“, „Altes Geld“ und „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ hat er sich einen Namen gemacht, in seinem Roman „Schwere Knochen“ (2018) hat er Leichen im Keller der Geschichte ausgegraben, und gerade arbeitet er zusammen mit Jan Böhmermann an der Verfilmung der Ibiza-Affäre.

David Schalko: „Bad Regina“. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 398 S., geb., 24,– .


David Schalko: „Bad Regina“. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 398 S., geb., 24,– .
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Bild: Kiepenheuer & Witsch

„Bad Regina“ liest sich wie ein Gemeinschaftswerk von Böhmermann, Agatha Christie und einem Thomas Bernhard auf Speed, garniert mit Rollenprosa von Qualtinger bis Josef Hader: eine wilde Kreuzung aus Politsatire, Heimatkrimi, Aphorismensammlung („Die Geschichte der Zivilisation ist nicht eine des Aufstehens, sondern des Hinsetzens“) und Daily-Soap-Simulationen, etwas lang geraten, aber nicht ohne Schmäh und provozierenden Schmackes. Der Warnvermerk des Verlags, „Wir weisen darauf hin, dass einige Figuren des Romans rassistische Sprache verwenden“, ist durchaus angebracht. In Bad Regina darf man noch N-Wörter benutzen, Transsexuelle veralbern oder syrische Schutzsuchende mit Alkoholproblem auftreten lassen, ohne die antifaschistische Grundhaltung zu beschädigen.

Dass am Ende schwarze „Afronauten“ in Dirndl, Polizeiuniform und Häuptlingslendenschurz durch Bad Regina paradieren und Alteuropa fröhlich-wild verjüngen, geht in Österreich wohl auch noch als politisch unkorrekter Humor durch. „In Österreich ist alles vermodert“, bernhardet Moschinger einmal. „Selbst der Humor. Der ja keiner ist. Selbst der vielgerühmte Humor ist nichts als Verdunkelung. In Österreich will nichts ans Licht, weil sich der Österreicher nur im Dunkeln als Riese wähnen kann. Der Österreicher hat zu allem ein schlampiges Verhältnis. Alles, was er tut, passiert, um etwas zu kaschieren. Im Gegensatz zum Deutschen, der versucht, alles richtig zu machen. Der Österreicher macht alles falsch. Und das mit allergrößter Lust. Deshalb braucht der Österreicher Humor und der Deutsche nicht.“

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