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#Ein Mann sucht das Weite

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Ein Mann sucht das Weite

Auch Utopien sind nicht mehr, was sie mal waren. Als 1986 Harrison Ford als amerikanischer Konsumverächter Allie Fox in der Romanadaption von Paul Theroux’ „Mosquito Coast“ alles stehen und liegen ließ, um mit Frau und vier Kindern südlich der Grenze ein neues Leben zu beginnen, da war der Dschungel noch das verlorene Paradies. Hier konnte man von vorn anfangen, eine neue, bessere Zivilisation errichten und eine selbstbestimmte Gemeinde ins Leben rufen – bevor einen der eigene Dünkel zu Fall brachte. 2021 sucht Allie Fox – diesmal vom Neffen des Romanautors, Justin Theroux, verkörpert – abermals das Weite, aber es geht nicht mehr um die Welt, die Gesellschaft, die Gemeinde, sondern bloß noch um die engste eigene Blase. Das zumindest legen die nebulösen Andeutungen für jene Gründe nahe, die erklären sollen, warum dieser Allie (hier mit Frau und zwei Kindern) das Weite sucht: Er ist nicht auf dem Weg zu neuen Ufern, sondern auf der Flucht vor den amerikanischen Behörden.

Die siebenteilige Serie von Apple TV, die Justin Theroux koproduziert hat, ist keine neue Adaption des Werks von Paul Theroux oder des eng an der Vorlage orientierten Films von Peter Weir. Sie ist eine alternative Vorgeschichte, wie Theroux in einem Pressegespräch auf dem diesjährigen South-by-Southwest-Filmfestival erklärte.

Im unfreiwilligen Auszug aus der Konsumhölle, in dessen Verlauf die Familie erst einem, dann einem anderen und schließlich einem dritten Verfolger entkommen muss, erschöpft sich die Story, und leider verirrt sie sich trotz visueller und schauspielerischer Reize in den Untiefen des Actiongenres. Der Serienschöpfer Neil Cross („Luther“) dreht den Stoff auf Thriller, der vom schauspielerischen Können Justin Theroux’ lebt, aber dadurch irritiert, dass er atemlosem Nervenkitzel Vorrang vor Stringenz und Tiefgang einräumt.

Oberflächliche Reize

Sehenswert ist die erste Episode, in der Theroux mit einem fesselnden Seiltanz zwischen Familienmensch und manischem Genie den Grundkonflikt dieses Dramas beschreibt. Man möchte diesen Mann mögen, der den Wahnsinn der amerikanischen Wegwerfgesellschaft ebenso ablehnt wie die Gleichgültigkeit seiner Mitmenschen, und der seine Verachtung in einem Lebensentwurf neuer Selbstbestimmung kanalisiert.

„Es wird eine Schule ohne Mauern, echte Bildung“, malt er seiner Frau Margot (Melissa George, die hier dankenswerterweise eine tragendere Rolle spielt als die sträflich unterforderte Helen Mirren im Film von 1986) das Leben jenseits der amerikanisch-mexikanischen Grenze aus. Man begreift, was sie einst an diesem Mann mit der nie versiegenden Energie und dem scharfsinnigen Idealismus faszinierte. In Margots Blick liegt jedoch längst Zweifel, denn ihr gutgelaunter Revoluzzer ist getrieben von einer gefährlichen Selbstgerechtigkeit, die keinen Widerspruch duldet – kein Fernsehen und keine Videospiele, keine Handys und kein Kontakt mit Außenstehenden, weder mit Margots Eltern noch mit dem Freund von Tochter Dina (Logan Polish als widerborstige Sechzehnjährige, die den Egotrip ihres Vaters durchschaut, aber weder Mittel noch Wege hat, sich ihm zu entziehen). Das ist ein Typ, den man besser bei Laune hält, das wissen die Frauen in dieser Familie.

Die naive Bewunderung, die Dinas jüngerer Bruder Charlie (Gabriel Bateman) für den kompromisslosen Vater und seine Vorträge über die Wegwerfgesellschaft hegt, bekommt erst nach und nach Risse. Als Allie seine Familie von einer Gefahr in die nächste treibt, von der sengenden Wüste Arizonas in die Mauern eines unheimlichen Palastes und durch die Straßen von Mexiko City, immer mit neuen Freiheitsversprechen auf den Lippen. Wie die Familie Fox vom Regen in die Traufe gerät, das ist hinreißend gefilmt, mit überzeugenden Schauplätzen in Szene gesetzt und von scharf gezeichneten Nebenfiguren bevölkert – allen voran Ofelia Medina als düstere mexikanische Matriarchin und Ian Hart als ihr Scherge.

Aber Allies Haltung zu Konsum und Verschwendung, zum Niedergang der amerikanischen Gesellschaft verblasst bald unter dem Eindruck der immer schon lauernden nächsten Gefahr. Und ohne eine klare Antwort auf die Frage, warum das FBI eigentlich hinter ihm her ist, wird die Hatz zum Selbstzweck der Serie.

Wiewohl Paul Theroux’ Allie Fox ein Vorreiter der vielbeschriebenen „difficult men“ im großen amerikanischen Serienfernsehen war, nimmt Neil Cross hier reichlich Anleihen bei „Breaking Bad“ und „Ozark“. Was deren Figuren jedoch so bestechend machte, war die sorgfältige Zeichnung ihres Wesens und ihrer Beweggründe. Dies wird hier zu oft oberflächlichen Reizen geopfert. Das ist gerade in einer Geschichte über jemanden, der alles in Frage stellt, eine herbe Enttäuschung. „The Mosquito Coast“ gibt vor, große Themen zu verhandeln. Tatsächlich aber beugt sich die Serien jenen kommerziellen Impulsen, die Paul Theroux’ Allie Fox so verachtet.

The Mosquito Coast ist von diesem Freitag an bei Apple TV+ abrufbar.

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