#Ein Tanz in der Schneekugel
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„Ein Tanz in der Schneekugel“
Seit die Streamingdienste zur Speerspitze des Geschäfts mit bewegten Bildern geworden sind, gibt es die Hoffnung, ihre Machtübernahme auf dem Markt könnte dem Kino, dem sie die Luft abdrücken, zugleich ein zweites Leben bescheren. Denn während die Arthouse-Filmtheater allmählich aus den Kleinstädten und bald auch aus den Metropolen verschwinden, produzieren immer mehr Regisseure ihre Werke für die Anbieter im Internet. Woody Allen, Spike Lee, Martin Scorsese, die Coen-Brüder, Luca Guadagnino, sie alle haben schon für Netflix oder Amazon gedreht, und insbesondere die Netflix-Produktionssparte konnte mit den Oscars für Jane Campions „Power of the Dog“ und Alfonso Cuaróns „Roma“ auch die symbolischen Zinsen für ihre finanziellen Transferleistungen einstecken.
Der rundum vorzeigbarste aller Netflix-Regisseure, wenn man diesen Ausdruck verwenden darf, ist aber der Amerikaner Noah Baumbach. Baumbach, dessen Filme regelmäßig im Wettbewerb von Venedig oder Cannes laufen, hat seine drei letzten Arbeiten unter Netflix-Aufsicht hergestellt: „The Meyerowitz Stories“, „Marriage Story“ und nun „Weißes Rauschen“. Und während sich der Streamingdienst über den kommerziellen Erfolg oder Misserfolg seiner Spielfilmproduktionen ausschweigt, war der Oscar für Laura Derns Nebenrolle in „Marriage Story“ ein deutliches Zeichen der Anerkennung für einen Kinoerzähler, der einmal als wichtigstes Talent des jüngeren amerikanischen Independent-Films gegolten hat. Baumbach, der 2005 mit dem Scheidungsdrama „Der Tintenfisch und der Wal“ bekannt wurde, hat zwölf Jahre lang konsequent seinen künstlerischen Weg abseits von Hollywood gesucht. Dann kam er zu Netflix.
Die Frage ist, was dieser Wechsel mit seinem Stil, seinem Blick auf die Welt und die Tonart seiner Bilder gemacht hat. Die Antwort gibt die Achtzig-Millionen-Dollar-Produktion „Weißes Rauschen“.
Die Goldkinder der Konsumgesellschaft in Beziehungsnöten: Adam Driver als Jack und Greta Gerwig als Babette in „Weißes Rauschen“
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Bild: Netflix/Wilson Webb
„White Noise“ ist die Verfilmung eines Romans von Don DeLillo aus dem Jahr 1985. Es geht um Jack Gladney, einen Geschichtslehrer an einem kleinstädtischen College im Mittleren Westen Amerikas, und die Patchwork-Familie, die er mit seiner vierten Frau Babette und den vier Kindern aus ihren früheren und ihrer jetzigen Ehe bildet. Jack ist Dozent für Hitler Studies, ein Fach, das es nur bei DeLillo gibt, aber alles andere in dem Roman stammt aus der Erfahrungswelt seines Autors: die Beschreibung der Konsumgesellschaft, die Kantinengespräche unter halbgebildeten Lehrkräften, die enthemmte Unsicherheit des Ehelebens nach der sexuellen Revolution und schließlich auch das „airborne toxic event“, das Giftgasunglück im Zentrum der Handlung, das der Chemiekatastrophe im italienischen Seveso nachgebildet ist.
Die Literaturkritik hat DeLillo prophetische Gaben bescheinigt, weil er seinen Figuren Verschwörungstheorien in den Mund legt, wie sie heute in sozialen Medien zirkulieren, und das Fernsehen als staatlich gesteuerten Beschwichtigungsapparat zeichnet, aber beim Wiederlesen schmeckt „Weißes Rauschen“ mehr nach den Achtzigerjahren als nach den Giften der Zukunft. Die Vorortwelt von John Updike und Philip Roth liegt um die Ecke, das Geflimmer von „E.T.“, „Star Wars“ und „Halloween“, von „Dallas“, „Seinfeld“ und dem „Denver-Clan“ ebenso.
Der Film wirkt schon historisch, bevor er richtig anfängt
Baumbachs Film indessen beginnt nicht mit Fernseh-, sondern mit Kinobildern. Wir sind im Vorlesungssaal, und Murray (Don Cheadle), ein Kollege von Jack, führt einen Zusammenschnitt von Car-Crash-Szenen vor, die er als Inbegriff des amerikanischen Optimismus bezeichnet. Blut, Blech und Zivilisationstheorie, das ist der Sound und der Geist DeLillos, und Baumbach könnte die Partie mühelos gewinnen, wenn er in diesem Ton weitermachen würde. Aber er muss ja einen 500-Seiten-Literaturklassiker nacherzählen, und deshalb wird er jetzt selbst professoral.
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