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#Ein Virtuose der Vielfalt

Ein Virtuose der Vielfalt

Als Sean Connery achtzig Jahre alt wurde, schrieb Wolf Lepenies ein Geburtstagsblatt für den Jubilar. Unter dem Titel „Der Mann, der nicht Bond sein wollte“ führte es auf, was Connery alles war, nämlich Marinesoldat, Aktmodell, Rausschmeißer, Fußballspieler, 007, Shakespearedarsteller, Gelehrtendarsteller und was er am liebsten geworden wäre: Autor.

Jürgen Kaube

Die Liste dessen, was Wolf Lepenies, der an diesem Montag achtzig Jahre alt wird, alles war und was er hätte werden können, ist nicht kürzer. Filmkritiker beispielsweise: Er ist einer der größten Kenner des Gesamtschaffens von Stan Laurel und Oliver Hardy, und wir wünschen uns an dieser Stelle, auch wenn ja er Geburtstag hat, ein Buch dazu. Früh publizierte Lepenies über den Italo-Western, und Woody Allen hat er empfohlen, wie der seinen Film „Midnight in Paris“ zu einem Meisterwerk hätte vervollkommnen können.

Dann Basketballer – Rot-Weiß Koblenz, 48 Punkte im Maximum – und mindestens Sportkolumnist. Als Lepenies Anfang der siebziger Jahre ans „Institute for Advanced Studies“ kam, waren die Spiele der Princeton Tigers und die der New York Knicks für ihn so prägend wie die Freundschaften mit Clifford Geertz und Albert O. Hirschman. Für ein Gespräch über Spiele, Spieler und Sportarten lässt Lepenies vieles liegen.

Gelehrsamkeit und Witz

Nach Princeton kam er als Soziologe. 1967 war er in Münster mit einer Arbeit promoviert worden, die aus der Absicht entstand, über den französischen Aphoristiker La Rochefoucauld zu schreiben. Als „Melancholie und Gesellschaft“ zwei Jahre danach als Buch erschien, stand es einsam neben den zeitgenössischen Klassenkampfableitungen. Die Mischung aus Ideengeschichte und Literatursoziologie fand in seinem Fach wenig Echo. Obschon Lepenies sich bald an der Freien Universität Berlin habilitierte, wohin er auch als Professor berufen wurde, machte er seinen Weg fast am Rand der Soziologie und international. Er führte, zusammen mit Henning Ritter, den Sozialanthropologen Claude Levi-Strauss in die deutsche Diskussion ein, aber auch von der französischen Medizin- und Biologiegeschichte hörten viele erstmals durch ihn. Das Frankreich von Lepenies war nicht das Michel Foucaults, sondern das von Georges Canguilhem und dessen Vorgänger, des großen Wissenschaftstheoretikers Gaston Bachelard.

Theoretiker hätte er nicht werden wollen. Lieber als Habermas und Luhmann, deren Kontroverse er damals aber für die F.A.Z. halbseitig kommentierte, las er Norbert Elias, dessen „Was ist Soziologie?“ er 1971 von fünf- auf zweihundert Seiten heruntergekürzt hatte. Zum Dank wird er noch in der zwölften Auflage als „Dr. W. Lepenius“ angesprochen. Lieber als die schwer lesbaren Bücher Talcott Parsons, dessen Empirienähe Lepenies womöglich unterschätzte, waren ihm die besser formulierten Robert K. Mertons, der ihm auf seinen Melancholietext lobend geschrieben hatte und bei dem Lepenies vor allem die wissenschaftshistorische Gelehrsamkeit und der Witz anzogen.

Mit „Das Ende der Naturgeschichte“ von 1976, das die Umbrüche in der Biologie des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts in den Blick nahm, schien Lepenies dieser Spur zu folgen. Es folgte die Herausgabe einer vierbändigen Geschichte der Soziologie und schließlich 1985 „Die drei Kulturen“, das sein Fach in vielen Einzelstudien zwischen Literatur und Wissenschaft verortete, aber zugleich auch ein Abschied von ihm war. Lepenies hat mehr und glänzender über Soziologen als selbst soziologisch geschrieben. Sein Vorschlag, zum Studium des Faches überhaupt nur Absolventen eines anderen zuzulassen, kam aus dieser frühen Distanz.

Er hätte auch Franzose werden können

Dafür hat er den disziplinären Sinn für Nebeneffekte des Handelns, Rollen und Institutionen in seine nächste Karriere eingebracht. 1986 wurde er zum Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs ernannt, dem er fünfzehn Jahre lang erfolgreich vorstand. Die Fähigkeit zur Diplomatie, die schon seinem abwägenden und zugleich auf nichtaggressive Pointen zulaufenden Schreibstil zu entnehmen ist, entfaltete sich hier in der Führung des Hauses sowie, nach 1989, in Gründungen von „Advanced Studies“-Instituten in Osteuropa. Zwischendurch war das Amt des Berliner Kultursenators nicht fern; auch das hätte er werden können.

Mit vielen Preisen ist er nicht zuletzt für diese Tätigkeit als Wissenschaftspolitiker jenseits der Parteien ausgezeichnet worden. Am höchsten mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und am schönsten mit dem Prix Chartier für seine überaus dichte, gedankenreiche Monographie über den ebenso imponierenden wie ständig irrenden Kardinal der Literaturkritik des neunzehnten Jahrhunderts in Paris, Charles-Augustin Sainte-Beuve. Die Beschwerde, dass „Midnight in Paris“ die Nostalgie nur bis zur Belle Epoque ausdehnt und den Schritt in die Zeit Flauberts unterlässt, war erkennbar ein imaginäres Bewerbungsschreiben für die Nebenrolle von Sainte-Beuve.

Franzose hätte der „Officier de la légion d’honneur“ also vielleicht ebenfalls werden können. Sein jüngstes, fabelhaftes Buch zeichnet minutiös die Geschichte der französischen Versuche nach, als lateinisches Gegengewicht zu einem nördlich dominierten Europa eine mediterrane Union zu etablieren: von den seefahrtspolitischen Ideen der Saint-Simonisten über Alexandre Kojèves Kolonialphantasien bis zur nicht zufällig im Militärhafen Toulon gehaltenen Rede Nicolas Sarkozys im Jahr 2007. Lepenies Buch ist gewissermaßen freischwebend vom nahe gelegenen „Berg der Vögel“ in Hyères aus geschrieben, von wo aus die Verführung, dem Mittelmeer und einer „lateinischen“ Lebensweise einen einheitlichen politischen Sinn zuzuweisen, ebenso einleuchtet wie die vergeblichen Anstrengungen von zweihundert Jahren, es zu tun. Melancholie und Utopie sind Gegensätze, vereinigt nur im Autor, dem wir gratulieren.

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