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#Einsame Eisbären, die dem Klimawandel trotzen?

„Einsame Eisbären, die dem Klimawandel trotzen?“

Tief im Südosten Grönlands und fast komplett isoliert lebt offenbar schon seit mindestens zweihundert Jahren eine Population von ein paar Hundert Eisbären, die den Polarforschern nicht bekannt war und möglicherweise wichtige Hinweise für die Zukunft der vom Klimawandel bedrohten Eisbären liefert. Die Tiere sind nämlich anders als alle anderen neunzehn Eisbären-Populationen rund um den Nordpol nicht mehr auf Packeis angewiesen, wenn sie auf Robbenjagd gehen. Stattdessen geben sie sich mit dem über die späten Wintermonate gefrorenen und an den Gletscherrändern abgebrochenen spärlichen Eis als Jagdgebiet zufrieden. Kristin Laidre von der University of Washington in Seattle und ihre Kollegen haben die Eisbären in der entlegenen Region vor zehn Jahren entdeckt und zwischen 2015 und 2021 mehr als zwei Dutzend der Tiere mithilfe von Senderhalsbändern beobachtet.

Joachim Müller-Jung

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

Gewebe- und DNA-Material sowie das aus Satellitenbildern gewonnene und von Inuit aus der Region gesammelte Wissen über die Eisbären zeigen: Die Südgrönland-Eisbären verhalten und vermehren sich nicht nur anders als „gewöhnliche“ Artgenossen, sie sind, wie die Veröffentlichung in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Science“ zeigt, auch genetisch klar zu unterscheiden. Nur ganz selten sind im Laufe der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte offenbar Einzeltiere aus dem Norden Grönlands eingewandert oder mitunter auch aus der russischen Population und von Spitzbergen oder Alaska mit Packeis driftend in die südlichen Fjorde vorgedrungen.

Vier Monate sind die Fjordküsten Südostgrönlands vereist.


Vier Monate sind die Fjordküsten Südostgrönlands vereist.
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Bild: Kristin Laidre/University of Washington

Was die Südgrönland-Eisbären so besonders macht, ist aber weniger der genetische Abstand zu den Verwandten. Es ist vor allem ihre Art, mit dem südlich des 64. Breitengrades über viele Monate eisfreien Lebensraum und dem weitgehend fehlenden Packeis auszukommen. Eisbären können Robben, ihre bevorzugte Beute, unter bis zu einen Meter dicken Eisschichten riechen. Normalerweise nutzen sie die im Packeis auftretenden Eisspalten für ihre Jagd. Die Eisspalten werden von den Robben als Luftlöcher genutzt. Eisbären, die sich auf dem Packeis übers Meer treiben lassen, harren am Rand dieser Löcher aus, bis die Robbe Luft holt, um ihre Beute dann mit ihren mächtigen Pranken und starken Krallen aus dem Wasser zu zerren. Viele der Eisbären driften mit dem Packeis Dutzende Kilometer weit, um dann über Land wieder in ihr Heimatgebiet zurückzukehren.

Viele Tiere müssen fasten

Im Südosten Grönlands ist diese Jagdmethode stark eingeschränkt, weil sich angesichts einer doppelt so schnellen Erwärmung in der Arktis nur noch selten dickes Packeis bildet, das monatelang in den Fjorden driftet. Während manche der Verwandten im Nordosten jährlich an die 1500 Kilometer zurücklegen, im Durchschnitt 40 Kilometer pro viertägigem Jagdstreifzug, kommen bei den Südgrönland-Eisbären gerade einmal zehn Kilometer zusammen. Die meisten von ihnen bleiben vielmehr übers ganze Jahr in ihrem Heimatfjord. Zwischen Februar und Mai, wenn es auch im Südosten noch richtig kalt wird, ist die Hauptjagdsaison. Dann nutzen sie das vergleichsweise dünne am Küstenrand sich bildende Eis („fast ice“), das abbricht und auf dem Fjordwasser schwimmt, um an den Eisrändern nach Robben zu jagen. Dieser Grenzbereich mit fragilerem, kurzlebigerem Eis am Gletscherrand wird als Eis-Melange bezeichnet.


Bild: Laidre et al./Science

Den Rest des Jahres müssen viele der Tiere allerdings fasten, und zwar deutlich länger als die für Eisbären typische Fastenzeit von drei bis sechs Monaten. Dass die Tiere das gut überstehen, liegt an den enormen Fettreserven, die bei Eisbären generell größer sind als bei allen anderen Bärenarten und die auch darauf zurückzuführen sind, dass Eisbären weder eine echte Winterruhe noch Winterschlaf halten.

Auffällig ist bei den Südgrönland-Eisbären außerdem, dass im Frühjahr deutlich weniger Weibchen mit Jungtieren als üblich beobachtet wurden – was der Stabilität der Population offenbar aber keinen Abbruch tut. Laidre und ihr Team vermuten, dass die Weibchen, weil ihr Aktionsradius auch geringer als üblich ist, möglicherweise weniger Paarungsmöglichkeiten finden. Elizabeth Peacock von der Emory University in Atlanta vermutet eher, dass die Weibchen wegen der eingeschränkten Ressourcen in dem Gebiet weniger Junge zur Welt bringen.

Daran könnte durchaus der Klimawandel beteiligt sein. Denn auch bei anderen arktischen Tieren, etwa Robben, hat man beobachtet, dass eine sich rasch verändernde Umwelt die Geburtenraten deutlich verringern kann. Als existentielle Bedrohung sehen Laidre und ihre Kollegen dies allerdings nicht. Weil die Population im Südosten Grönlands bisher offenbar stabil ist und die Eisbedingungen etwa den Verhältnissen ähneln, wie sie in den allermeisten Eisbär-Verbreitungsgebieten um den Nordpol bis zum Ende dieses Jahrhunderts herrschen dürften, sehen die Eisbärenforscher dies sogar als Hoffnungszeichen. In ihrer „Science“-Veröffentlichung legen sie nahe, dass auch andere Populationen sich möglicherweise in der packeisfreien Eis-Melange der arktischen Küsten „anpassen und überleben“ könnten. Allerdings könnte diese Resilienz auch Grenzen haben und bedeuten, dass die Südgrönland-Eisbären dann doch bei einer weiter beschleunigten Erwärmung die erste Population ihrer Art werden könnten, die ausstirbt. Denn Eisbären, die in komplett eisfreien Gegenden überleben, kennt man nicht. Die über viele Monate tiefgefrorenen Eisflächen sind für die Fortpflanzung in Eishöhlen und auch das Jagdverhalten der Tiere überlebenswichtig.

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