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#Es ist eine Schande, dass Netflix diese Sci-Fi-Serie einer Regie-Legende ablehnte – jetzt ist die Film-Version da

Regie-Meister David Cronenberg meldet sich mit einem traurigen wie lustigen Science-Fiction-Film zurück, der ursprünglich als Netflix-Serie geplant war.

Was, wenn man seine geliebten Menschen bis in den Tod und darüber hinaus begleiten könnte? Bis zum bloß liegenden Knochen six feet under, der 24 Stunden am Tag überwacht werden kann? Diese Idee positioniert David Cronenberg (Crimes of the Future) im Zentrum seines neuen Science-Fiction-Films The Shrouds, der dieses Jahr im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes gezeigt wird. Dabei sollte The Shrouds zunächst eine Netflix-Serie werden, was man dem Film mit Vincent Cassel und Diane Kruger im Guten wie im Schlechten anmerkt.

Netflix wollte The Shrouds – und lehnte trotzdem ab

David Cronenberg hat seit 2022 mit Crimes of the Future und jetzt The Shrouds bereits zwei Filme vorgelegt. So ein Tempo wäre vor ein paar Jahren schwer vorstellbar gewesen. Nach Maps to the Stars von 2014 wuchs mit jedem weiteren vergehenden Jahr ohne neuen Film das Fragezeichen: Hat der Regisseur von Die Fliege und eXistenZ etwa seine Karriere beendet? 2019, noch immer war kein neuer Cronenberg auf der Leinwand erschienen, erklärte der Kanadier die Pause gegenüber der Globe and Mail  so:

Ich dachte wirklich, dass ich mit dem Filmemachen fertig wäre. Es wurde mir langweilig. Ich dachte, ich würde einen weiteren Roman schreiben, aber dann interessierte ich mich für die ganze Netflix-Sache und die Idee einer Streaming-Serie.

Es war die Zeit, als Netflix große Regie-Namen wie Martin Scorsese, Nicolas Winding Refn oder Jane Campion anheuerte. Cronenberg sollte einer davon sein, aber es kam anders:

Zu meiner Überraschung flog ich nach L.A., um Netflix eine Idee vorzuschlagen, die ihnen so gut gefiel, dass sie grünes Licht für zwei Episoden gaben, die ich geschrieben hatte. Aber dann haben sie beschlossen, es nicht zu tun. […] Das hat mich wieder auf den Gedanken gebracht, dass ich vielleicht doch noch nicht fertig damit bin.

Inhaltliche Details verriet Cronenberg damals nicht, aber heute wissen wir: Bei der Streaming-Serie, die nie gedreht wurde, handelte es sich um The Shrouds. Gegenüber Variety  verriet er sogar, dass der Film im Prinzip vor Beginn der zweiten Episode endet.

Vincent Cassel und Diane Kruger in The Shrouds

Es ist ein Trauerspiel, dass jemand vom Status eines Cronenberg sein Projekt nicht bei einem Streamer unterbringen konnte. Die Kopie besitzt im gegenwärtigen Hollywood-Betrieb mehr Wert als das Original. Eine ganze Serie wird über die Entstehung von Der Pate produziert, aber niemand traut sich, den neuen Film von Francis Ford Coppola in den USA ins Kino zu bringen. Statt Cronenberg Geld für ein neues Projekt zu geben, wird lieber der Reboot Dead Ringers in Auftrag gegeben. Aber was ist nun eigentlich der international finanzierte The Shrouds, dem wir Cronenbergs erneuerte Filmemacherei verdanken?

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Der Sci-Fi-Film zeigt Diane Kruger in 3 Rollen

Cronenberg entwickelte die Idee nach dem Tod seiner Frau Carolyn im Jahr 2017. In der Filmversion spielt Vincent Cassel den Geschäftsmann Karsh, der sich bei einem Blind Date zu Beginn folgendermaßen vorstellt:

In einem Restaurant, das ihm gehört. Dieses Restaurant steht auf einem Friedhof. Dieser Friedhof wird von Grabsteinen mit Displays gesäumt. Darauf kann man mithilfe von High-Tech-Leichentüchern (= Shrouds) die verwesenden Überreste seiner Geliebten beobachten. Und als wäre das noch nicht genug, erklärt Karsh, am liebsten würde er ins Grab seiner verstorbenen Frau Becca (Diane Kruger) herabsteigen, um neben ihr zu liegen.

Das Ganze schaut sich wesentlich amüsanter, als es klingt, aber Karshs naturgewaltige Trauer bildet den schmerzvollen roten Faden in einem Film, der sich danach in Verschwörungstheorien und Techno-Babbel verliert. Karsh sieht sich und seine Firma GraveTech nämlich als Zielscheibe von wahlweise dem chinesischen Überwachungsstaat, Umweltaktivisten und seinem nerdigen Schwager (Guy Pearce), der mit der paranoiden Zwillingsschwester von Becca (ebenfalls Diane Kruger) verheiratet war. Inglourious Basterds-Star Kruger spricht in ihrer dritten Rolle eine unheimliche KI-Assistentin, die sich als animierter Koala-Bär ausgibt.

Lest den letzten Satz nochmal.

Es ist viel, das in The Shrouds erzählt wird und mit „erzählt“ meine ich erzählen. Das Gros des Films besteht aus Vincent Cassel, der sich mit einem Display, einer der diversen Diane Krugers oder anderen Co-Stars in faden Gesprächen über irgendein Handlungsdetail austauscht. Das mag man mit Cronenbergs Faszination für die Verschmelzung von Mensch und Technik erklären, die für Karshs Trauermethode offensichtlich besondere Bedeutung hat. Immerhin thematisiert der Film, wie er die echte Verbindung zu seiner geliebten Frau mit Bits und Bytes ersetzt.

The Shrouds

Bei aller Rationalisierung der künstlerischen Entscheidungen fand ich mich trotzdem in der am besten besetzten NCIS-Folge aller Zeiten wieder. Und dann wieder in einem tieftraurigen Drama über den Versuch, den Verlust zu kontrollieren – und damit im erweiterten Sinne die verstorbene Person (und ihren Körper) festzuhalten. An vielen Stellen schaut sich The Shrouds wie ein Info-Dump, den man bei einer Pilotfolge akzeptiert, aber nicht bei einem Wettbewerbsfilm in Cannes.

In wenigen, aber dafür wirklich starken Filmminuten schaut man direkt in die Schockwellen eines Verlusts. Eine Sexszene, in der die widersprüchlichen Sehnsüchte zweier Trauernder verschmelzen, gehört zum aufregendsten, was Cronenberg seit Langem gedreht hat. Zumeist werden allerdings Geschichten über Geschichten gestapelt, die Beccas Tod erklären könnten, die aber kaltlassen. Da diese Geschichten wegen ihrer monotonen Erzählweise auf Dauer ermüden, verwandelt sich The Shrouds in ein frustrierendes Seh-Erlebnis. Die paar richtig guten Minuten ließen mich aber dennoch dankbar dafür zurück, dass Cronenberg wieder Filme dreht.

The Shrouds hat noch keinen deutschen Kinostart.

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