#Es ist fast unmöglich, das Land zu einen
Inhaltsverzeichnis
„Es ist fast unmöglich, das Land zu einen“
Die letzten vier Wochen vor der Wahl habe ich als extrem stressig empfunden. Ich fand es wichtig, mich für die Demokraten zu engagieren, daher habe ich Postkarten an andere Wähler geschrieben. Das ist so üblich in den Vereinigten Staaten: Leute aus dem ganzen Land schreiben anderen Leuten aus dem ganzen Land, die sie nicht kennen, Briefe, um sie zum Wählen zu überreden oder auch zum Wählen einer bestimmten Partei. Die Adressen bekommt man von der Partei, für die man sich engagiert, und die wiederum kauft sie. Das ist ganz normal hier. Es ist öffentlich bekannt, wen die Leute vor vier Jahren gewählt haben.
Es gibt Listen mit Wechselwählern. Ich hatte so eine Liste. Meistens erwischt man nicht direkt die Adressen seiner Nachbarn, sondern ich habe von Rhinebeck im Staat New York aus, wo ich wohne, an Einwohner sogenannter „swing states“ wie Pennsylvania geschrieben, in denen im Lauf der Geschichte Kandidaten verschiedener Parteien haben gewinnen können. Aber einmal hatte ich auch eine Adresse von einer Kollegin von der Arbeit vorliegen. Insgesamt habe ich vielleicht 50 bis 60 Dollar für Porto ausgegeben, für etwa 50 Briefe. Aber ein Ehepaar aus Rhinebeck hat 1200 Briefe geschrieben.
Susi Callahan aus Rhinebeck (New York) ist 59 Jahre und unterstützt die Demokraten.
:
Bild: privat
Der andere Grund, warum die Zeit vor der Wahl so stressig für mich war, waren die Trump-Fahrzeugkolonnen, die meistens aus riesigen Lastwagen bestehen, die kilometerweit durch verschiedene Städte fahren und den Leuten Angst einjagen. So jedenfalls empfinde ich das. Ich engagiere mich in einer demokratischen Frauengruppe, wir nennen uns die „Resisters“ (Achtung, Wortspiel!). Wir sind etwa zwanzig Frauen: schwarze und weiße Schriftstellerinnen, Professorinnen, Filmemacherinnen. Gegründet haben wir uns vor vier Jahren, weil wir so entsetzt waren, dass Trump gewonnen hat. Als wir hörten, dass eine Trump-Karawane in unsere Stadt kommen würde, beschlossen wir hinzugehen, um diesen Leuten zu zeigen, dass wir da sind. Wir hatten Plakate dabei: „Black lives matter“ zum Beispiel, andere gegen Homophobie und Hass. Um für Toleranz zu plädieren. Es gibt keine Toleranz mehr in unserem Land. Trump hat uns gespalten.
„Blue lives matter“
Uns gegenüber, auf der anderen Straßenseite, standen etwa zwanzig Leute, mit denen ich aufgewachsen bin. Unter ihnen der beste Freund meines Bruders. Sie hatten Flaggen, auf denen stand: „Blue lives matter“. Das heißt, sie engagieren sich für Polizisten statt für Schwarze – weil die Uniformen der Polizisten blau sind. Masken trugen sie auch nicht, obwohl es vorgeschrieben war. Wir Frauen blieben aber ruhig. Wir wollten einfach nur zeigen: Wir haben hier auch einen Platz. Doch es wurde dann einer der verstörendsten Nachmittage meines Lebens.
Die Fahrzeugkolonne war etwa zwei Kilometer lang, würde ich schätzen, und die Trucks waren wirklich riesig, mit acht bis zehn Rädern die meisten. Einige trugen auch die Tarnbemalung der Armee. Sie waren sehr laut, man musste sich die Ohren zuhalten. Dann stoppten drei von ihnen den Verkehr, direkt vor uns, und einer der Fahrer stieg aus und ging auf einen älteren Mann zu, der neben mir stand und ein Schild hochhielt, auf dem stand: „Dump Trump“ (Auf den Müll mit Trump). Und er schrie ihn an: „Was soll das?“
Wir riefen die Polizei, weil die ganze Situation so bedrohlich und beängstigend war. Als Nächstes drehte ein Typ, der ungefähr 30 Zentimeter von mir entfernt stand, sein Motorrad in meine Richtung, gab im Leerlauf Gas und schrie: „Weg da, Arschloch!“ Ich entgegnete: „Ich liebe dich.“ Die wollten uns ja provozieren, und das wollte ich nicht zulassen.
Der Ruß bedeckte alles
Viele andere Leute applaudierten uns. Daraufhin fuhr ein Fahrzeug aus der Kolonne auf uns zu und blies uns schwarze Abgase ins Gesicht. Das machen die mit so einer Vorrichtung, die die Abgase umleitet und irgendwie noch verstärkt. Der Ruß bedeckte alles, auch meine 85-jährige Mutter. Die Trump-Unterstützer auf der anderen Straßenseite johlten. Einer meiner Jugendfreunde schrie: „Warum wandert ihr nicht nach Kanada aus?“
In der Woche darauf ist meine Tochter so einer Karawane auf der Autobahn begegnet, sie hat gesehen, wie diese Leute den Heil-Hitler-Gruß aus dem Autofenster gezeigt haben. Sie sind wieder durch unseren Ort gefahren, und Freundinnen haben mir erzählt, dass sie Schwarze im Vorbeifahren aus dem Autofenster heraus als „Nigger“ bezeichnet haben. Viele schwarze Freunde, die ich habe, haben sich seit Dienstag nicht mehr aus dem Haus getraut. Eine schwarze Freundin hat ihre Vorlesungen an der Uni abgesagt. Aus Angst vor Übergriffen wütender Trumpisten. Ich erzähle das alles nur, weil ich darauf aufmerksam machen will, dass unser Land keine funktionierende Demokratie mehr ist.
In der Wahlnacht habe ich kein Fernsehen geguckt. Ich konnte einfach nicht, weil es mich geängstigt hätte. Stattdessen habe ich Yoga gemacht und einen Film über die Invasion der Nazis in einem kleinen französischen Dorf geguckt. Dann habe ich noch mit Freunden getextet und bin früh schlafen gegangen.
Aufzuwachen und zu sehen, dass Biden nicht ganz klar im Vorteil war, war schrecklich. Weil mir da klar wurde, wie viele Stimmen Trump im ganzen Land bekommen haben musste. Es war wie ein Schlag in meinen Magen. Der Kongressabgeordnete in unserem Distrikt ist schwarz, obwohl hier nur zehn Prozent Schwarze leben. Er ist klasse, er hat in den zurückliegenden vier Jahren so hart gearbeitet, er war überall. Wir dachten alle, er würde mit Leichtigkeit gewinnen. Noch dazu war sein republikanischer Gegner völlig unbekannt. Doch schlussendlich gewann er nur mit zwei Prozent Vorsprung.
So oder so: Dieses Land wieder zu vereinen ist fast unmöglich. Die Vereinigten Staaten als Emblem für Demokratie und Fortschritt sind Geschichte. Unser Niedergang hat begonnen.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.