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#Der Elefant in Raum und Zeit

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Der Elefant in Raum und Zeit

Datum, Ort und Held dieser Fotografie – alles scheint vergangen zu sein, auch diese Menschen vom Ende der DDR, aus jenem dystopischen Jahr „1984“. In einem anderen sozialistischen Land lernten wir in der Schule eine Fabel auswendig: „Man führte einen Elefanten durch die Straßen.“ In dieser Fabel von Iwan Krylow bellt ein Hündchen einen Elefanten an, und alle staunen: „Der Mops muss stark doch sein, so was zu wagen.“

Ist die Moral davon, dass die Menschen Frechheit mit Stärke verwechseln? Die russische Version von allegorischen Tier-Fabeln, de La Fontaine und Äsop nachempfunden, verlachte die Dummheit, Bosheit und Niedertracht. Ist es allein schon die Präsenz eines Elefanten, die Zustände aufdeckt?

Berlin, Alexanderplatz, 1984. Zirkuselefant vor Warenhaus. Ein Foto, das Ironie und Gutmütigkeit ausstrahlt. Und ein bisschen Zirkus. Gewaltige Welten und ferne „Vergangenheiten“ stoßen hier aufeinander: der durch den Krieg zerstörte Platz von Alfred Döblin, das berüchtigte Jahr 1984, ein riesiges beliebtes Kaufhaus, das nach der Wende bis zur Unkenntlichkeit umgebaut wurde, Menschen, die DDR-Bürger, die für manche heute immer noch ein fremdes, rätselhaftes Volk darstellen. Ein Elefant, ein Urtier, ein Publikumsliebling. Er krönt die Komposition mit seinem Hintern, der trotz allem als frontales Porträt wirkt. So viel über die Zugänglichkeit zur Vergangenheit. Sie möchten verstehen? – Na bitte!

Harald Hauswald fängt die Menschen in ihrer Kindheitsstunde ein: Um den Elefanten herum sind alle froh – klein und groß. Sie lächeln, berühren, staunen. Es ist schwer zu sagen, warum man Elefanten so liebt. Was steckt in diesem Tier, welche Erinnerung an Urzeiten und Ursprünge, an die Kindheit der Menschheit, dass diese Kolosse zärtliche Gefühle erzeugen? Ein Elefanten-Schützer und Überlebender aus dem „post-humanen“ Nachkriegszeit-Buch von Roman Gary hält sie für „die letzten wirklichen Individuen“: „Gerade ihre Ungeschicklichkeit, ihre gigantische Größe, verkörpert in so ungeheuren Ausmaßen die Freiheit selbst.“

Die Freiheit. Ich sehe die Menschen als Menge und einzeln, der Fotograf zeigt dies meisterlich, und doch ist es die Elefanten-Gestalt, die mich wie ein Magnet anzieht, ich bleibe in seiner Haut stecken, als hätten seine Falten unsere Vorgeschichte gespeichert. Auf seinem Rücken liegt Staub. Staub aus welcher Arena?

Ich betrachte die gemusterte Wand des Kaufhauses, das Wort „Centrum“, mit „C“ geschrieben, als wäre es ein Tribut an die lateinischen Tierbegriffe. Jenseits des Protokolls reimt sich der atmende Alu-Panzer der Fassade mit der Haut des Elefanten. Und die kleinen Gedächtniszellen des Kaufhauses – verraten sie die Utopien jenes Staates, der weder im Konsum noch in der Freiheit Gewinn erzielte?

In Berlin gibt es Orte, an denen die Zeit wie in Mauer-Falten steckengeblieben ist. An anderen ist die Geschichte so grundsätzlich gelöscht, dass man nicht nur die Spur der Zeit, sondern das Ortsgefühl verliert. Der Alexanderplatz ist einer von diesen fatalen Orten, zerstört und umgebaut und nur noch vom Himmel über Berlin aus betrachtet, ist er zu genießen. Bei Wim Wenders markiert ein Zirkus-Elefant ein ähnliches historisches Loch im Westen, am Potsdamer Platz und fast zur gleichen Zeit.

Die Zeit ist kein Kleid, sondern die Haut, hieß es in einem Gedicht, und wenn ich den Mann ganz vorne in seiner Jeans-Jacke anschaue, dann sehe ich, dass das Kleid wohl doch die Zeit abbilden kann. Ich erinnere mich an den Wert von Jeans-Kleidung im Ost-Block. Ist das hier Ost-Fake? Oder aus einem Paket von West-Verwandten? Schwarzmarkt? Auch auf dieser Oberfläche findet man das Gewebe der Zeit.

Zirkus im Sozialismus

Heute gibt es kaum irgendwo noch einen Elefanten im Zirkus, fast überall sind sie verboten. In der DDR kam ein Zirkus-Elefant sogar auf eine Briefmarke, und der Zirkus selbst hatte im Sozialismus einen hohen Status. Im Zirkus – mit seinen Akrobaten, Dompteuren, Zauberern und Clowns – beweist der Mensch sich selbst, dass er ein Mensch ist, der wilde Natur und Schwerkraft überwinden kann und einen Weg zu Witz und Wunder findet. 

Zirkus ist eine Scherbe eines gewaltigen Mythos vom Menschen, der die Naturkräfte beherrscht, er ist freigekommen. Sozialismus meinte selbst die Geschichte zu beherrschen. Ein Anspruch an alle Ursprünge. Oder wie es ein sowjetischer Witz zusammenfasste: „Die UdSSR ist die Heimat der Elefanten.“

Es ist keine Fabel: freie Menschen in der großen DDR-Voliere, ein Zirkus-Elefant, frei auf der Straße, ein Foto aus einer C/O-Berlin-Ausstellung, die nun geschlossen bleibt. Wenn ich aber auf diesen fröhlichen Zirkus-Umzug schaue, frage ich mich, wie viel Freiheit man in einer unfreien Welt immer wieder finden darf.

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