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#Ethik und Ernsthaftigkeit einer oft verfemten Gattung

Ethik und Ernsthaftigkeit einer oft verfemten Gattung

Seit 1980 wird in München der Geschwister-Scholl-Preis verliehen, und noch nie war er bislang an einen Comic gegangen. Wer den Gedanken heikel findet, diese Erzählgattung überhaupt für eine nach hingerichteten Widerstandskämpfern im „Dritten Reich“ benannte Auszeichnung in Erwägung zu ziehen, sei an Art Spiegelmans „Maus“ erinnert, jene ebenfalls 1980 begonnene und dann auf fast dreihundert Seiten gewachsene Ge­schich­te, die vom Leid der jüdischen Eltern des Autors in der Schoa und den daraus resultierenden Folgen fürs familiäre Leben erzählt. „Maus“ hat Comics nicht nur in Literaturkreisen salonfähig gemacht, sondern auch den Pulitzerpreis erhalten und ist in Deutschland zur Schullektüre geworden. Gleichwohl, den Ge­schwister-Scholl-Preis, so passend es thematisch auch gewesen wäre, hat Spiegelman dafür nicht erhalten. Für ernstgenommene Comics war es noch zu früh.

In diesem Jahr nun ist es soweit. Ein Schüler Spiegelmans, sein amerikanischer Landsmann Joe Sacco, ist als neuer Geschwister-Scholl-Preisträger bekanntgegeben worden. Prämiert wird er für seine Comicreportagensammlung „Wir gehören dem Land“. Sie erzählt und zeigt in für Sacco typisch detailreichen Schwarzweißbildern, was der Comicreporter auf mehreren Reisen ins nördliche Kanada über die Lebensbedingungen der dortigen indigenen Völker in Erfahrung brachte. Sacco, der zuvor großangelegte und vielfach gefeierte Recherchen über den israelisch-palästinensischen Konflikt oder die jugo­slawischen Kriege der neunziger Jahre veröffentlicht hat, ist in Kanada der systematischen Zerstörung der Kultur der first nations nachgegangen.

Er dokumentiert und lässt die Menschen sprechen

Erst in jüngster Zeit haben Berichte über jahrzehntelange Zwangsverschleppung von Kindern in staatliche oder kirchliche Schulen weitab der Siedlungsgebiete ihrer Stämme Aufsehen erregt. In den von Sacco zeichnerisch festgehaltenen Gesprächen mit Betroffenen bekommt der Schrecken im buchstäblichen Sinne ein Gesicht. Eines, das sich aus vielen einzelnen auch von ihrem Schicksal gezeichneten Gesichtern zusammensetzt.

Ein Ausschnitt aus „Wir gehören dem Land“


Ein Ausschnitt aus „Wir gehören dem Land“
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Bild: dpa

„Sacco klagt nicht an“, stellt die Jury des Scholl-Preises fest: „Er dokumentiert, lässt die Menschen sprechen und das Land.“ Tatsächlich sind beide – das Land und die darauf lebenden Völker – untrennbar; das Daseinsmodell der indigenen Gruppen beruht auf einer Symbiose, die von den wirtschaftlich motivierten Eingriffen ins Ökosystem der nordkanadischen Wälder, Seen und Tundra bedroht ist. Saccos Berichterstattung rührt an zentrale Fragen der Gegenwart und verschafft den Schwachen eine Stimme. Das entspricht genau dem Profil eines Geschwister-Scholl-Preisträgers: Die Auszeichnung, gemeinsam verliehen von der Stadt München und dem bayrischen Landesverband im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, ehrt jeweils eine aktuelle Publikation, die „von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben“.

Es gibt bislang nicht viele deutsche Literaturpreise, die an Comics gegangen sind; Spiegelman bekam immerhin 2012 den Siegfried-Unseld-Preis für sein Schaffen. Der Geschwister-Scholl-Preis für Joe Sacco ist trotzdem ein noch stärkeres Signal der Anerkennung. Hervor­gehoben wird, dass Sacco mit dem Comic-Journalismus ein neues Feld eröffnet habe. Dass nun auch seine ethischen Maßstäbe dabei Würdigung erfahren, ist hochverdient. Die Verleihung des mit 10.000 Euro dotierten Preises soll am 29. November in der Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München erfolgen – in jenem Gebäude, das Schauplatz der Flugblatt-Aktionen der Scholls gegen den Nationalsozialismus war.

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