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#Eurozentristischer Feminismus

Eurozentristischer Feminismus

Zu Recht wurde kritisiert, der Feminismus sei zu weiß, ein Scheuklappen-Feminismus, der nur weiße heterosexuelle Mittelschichtfrauen adressiere und Rassismus, Queerfeindlichkeit sowie sozioökonomische Marginalisierung nicht in den Blick nehme. Eine neue Generation von Feministinnen hat das begriffen und sich Diversity auf die Fahnen geschrieben. Sie will nicht mehr eurozentristisch sein und ist oft trotzdem genau das.

Da sitzen weiße Mittelschichtfrauen in ihren Altbauwohnungen in Mainz, Hamburg und Berlin, über dem Küchentisch hängt ein Kalender mit inspirierenden Zitaten von „Women of Color“, und schimpfen bei Flat White mit Hafermilch mit ihren Freundinnen auf alte weiße Männer. Sie finden, Make-up und Feminismus schließen sich genauso wenig aus wie Kopftuch und Feminismus. Sie interessieren sich für Popkultur, Empowerment, Horo­skope, feministische Pornos, den Paragraph 219 a, Catcalling und ihre Privilegien. Sie wollen Betroffenen zuhören und gute, vorurteilsfreie Verbündete sein. Sie bekommen Schnappatmung, sobald sie den in ihren Augen unsexy „Emma-Feminismus“ wittern. Bevormundend sei dieser und natürlich auch rassistisch, da er Minderheiten kritisiert.

Falsche Rücksichtnahme

Welche Blüten das treiben kann, verdeutlichte im November die Absage einer Veranstaltung mit der jesidischen Genozidüberlebenden Nadia Murad an einer Schule in Toronto. Sie sollte dort ihr Buch „The last Girl: My Story of Captivity, and My Fight Against the Islamic State“ vorstellen. Der von der Schuldirektorin Helen Fisher vorgebrachte Grund: Nadia Murads Geschichte beleidige Muslime und fördere Islamophobie. Der Vorfall zeigte: Das Gegenteil von gut ist eben oft „gut gemeint“. Aus Rücksicht auf vermeintlich „Betroffene“ werden andere Betroffene unter den Tisch gekehrt oder als „Token“ abgestempelt.

Ronya Othmann


Ronya Othmann
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Bild: Kat Menschik

Unter #LetUsTalk berichten Frauen auf Twitter vom Leben unterm Kopftuchzwang, sei es im Iran der Mullahs, im Afghanistan der Taliban oder in pa­triarchalen islamistischen Communitys weltweit. Sie prangern aber auch an, von Feministinnen im Westen im Stich gelassen zu werden. Diese werfen ihnen vor, mit dem Sprechen über erlittene Repressionen Islamfeindlichkeit zu reproduzieren. Nicht selten wird der Vorwurf auch von Töchtern von Mi­grantinnen aus dem Nahen Osten vorgebracht, die in Europa aufgewachsen sind und die islamistische Herrschaft nie am eigenen Leib erfahren mussten.

Frauen mit Kopftuch werden bespuckt

Das Kopftuch liefert seit Jahren kontinuierliches Streitmaterial in feministischen Debatten. Obwohl in Deutschland Religionsfreiheit herrscht und Frauen, wenn sie wollen, sieben Kopftücher übereinander tragen dürfen, werden Frauen mit Kopftuch auf deutschen Straßen bespuckt und beleidigt. Frauen unter islamistischer Herrschaft wie in Iran dürfen das Tuch hingegen nicht ablegen, werden bestraft und sozial geächtet. Der Kopftuchzwang in diesen Regimen ist jedoch nicht das einzige Problem: Davon nichts wissen zu wollen ist provinziell und eurozentristisch, was die Feministinnen von heute ja genau nicht sein wollen.

Aber obwohl sie sich mit Inklusivität brüsten und auf den weißen Feminismus schimpfen, kommen irakische Frauenrechtlerinnen wie Reham Yacoub oder Suad al-Ali, die von den Häschern iranischer Milizen ermordet wurden, bei ihnen nicht vor. Das Gleiche gilt für Frauen wie Zara Mohammadi, die gerade in Sanandaj in Iran zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, weil sie ehrenamtlich in kurdischen Dörfern Kinder in ihrer Muttersprache unterrichtete. Oder für die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin, die vom AKP-Regime in der Türkei drangsaliert wird, wo Frauen sich von Erdogan höchstpersönlich anhören müssen, wie viele Kinder sie zu gebären haben, dass sie in der Öffentlichkeit nicht mehr laut lachen sollen.

Sexualisierte Gewalt in der Haft

Und dann sind da noch die politischen Gefangenen, die in den Gefängnissen nicht selten sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind, wie die kurdische Sängerin Hozan Cane kürzlich berichtete. Oder Frauen wie Zehra Doğan, die selbst noch in der türkischen Haft malte, mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung standen: Haare und Menstruationsblut. Nicht zuletzt: die Frauen, die in Afghanistan heute noch für ihre Rechte und gegen Zwangsverschleierung protestieren, oder die mittlerweile aus IS-Gefangenschaft befreiten jesidischen Frauen, die in Syrien unter Lebensgefahr nach den noch gefangenen Frauen und Kindern im Al-Hol-Camp suchen.

Ich könnte die Liste unendlich fortsetzen mit nicht weißen Frauen, die beileibe nicht nur Opfer, sondern Aktivistinnen, Künstlerinnen, Ikonen sind. Ein konsequenter intersektionaler Feminismus interessiert sich nicht nur für die Belange von Frauen, wenn die Gewalt von alten weißen Männern ausgeht, und kommt nicht auf die Idee, sie rassistisch zu instrumentalisieren. Er sieht die Gleichzeitigkeit, etwa wenn kurdische Frauen in der Türkei und in Iran Repressionen erleiden, weil sie Frauen und weil sie Kurdinnen sind.

Konsequenter intersektionaler Feminismus ist nicht selektiv. Wie Audre Lorde so schön gesagt hat: „I’m not free while any women is unfree.“

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