#Die Hilferufe aus Xi’an
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„Die Hilferufe aus Xi’an“
„Haben die Verantwortlichen, die den Pausenknopf für Xi’an gedrückt haben, je darüber nachgedacht, wie sie das Schicksal von 13 Millionen Menschen beeinflussen würden?“ Dieser Satz stammt aus einem Onlinetagebuch über die Lage in der seit fast zwei Wochen abgeriegelten Stadt Xi’an. Die Aufzeichnungen der lokalen Journalistin Jiang Xue gehörten am Dienstag zu den meistgelesenen Texten im chinesischen Internet. Es geht darin um Menschen, die durchs Raster gefallen sind, als die Behörden die ganze Stadt lahmlegten, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Zum Beispiel um Leute, die auf der Straße sitzen, weil während ihrer Arbeitszeit ihr Wohnblock abgeriegelt wurde. Um einen Wanderarbeiter, der aus Angst vor den Kosten einer Zwangsquarantäne 90 Kilometer in sein Heimatdorf gelaufen sein soll. Um einen Mann, der von Wärtern seines Nachbarschaftskomitees verprügelt wurde, weil er unerlaubterweise seine Wohnung verlassen hatte, um sich etwas zum Essen zu beschaffen. Die Angreifer wurden später von der Polizei mit einem Bußgeld belegt.
In dem Tagebuch geht es auch um eine junge Frau, deren Vater einem Herzinfarkt erlag, nachdem er laut Darstellung seiner Tochter von einem Krankenhaus abgewiesen wurde, weil in seinem Wohngebiet Corona-Fälle gemeldet wurden. Jiang Xue erzählt diese Geschichten, um sie dem offiziellen Diskurs vom Sieg über das Virus und den vorauseilenden Jubelkommentaren nationalistischer Internetnutzer entgegenzustellen. „Egal wie am Ende die große Erzählung lauten wird, heute Nacht trauert die Stadt mit diesem Mädchen, das ihren Vater verloren hat.“
Zwischen Zuspruch und Widerspruch
Am Dienstag kam es zu einem ähnlichen Fall, der im Internet Empörung auslöste. Demnach wurde einer hochschwangeren Frau der Zugang zum Krankenhaus verwehrt, weil sie nur einen abgelaufenen Corona-Test vorweisen konnte. Der Wahrheitsgehalt des Berichts lässt sich aber nicht prüfen.
Seit Tagen zirkulieren im Internet außerdem Hilferufe und Beschwerden von Leuten, denen die Vorräte auszugehen drohen. Die Stadtverwaltung ist offenbar mit der Aufgabe überfordert, elf Millionen Bürger mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen, die ihre Wohnungen nicht verlassen dürfen. Manche Leute berichten, dass sie sich seit einer Woche von Instant-Nudeln ernährten. Teils erhalten sie Zuspruch, teils werden sie als unpatriotisch beschimpft. Einer, der sich beschwerte, dass die Behörden vor dem Lockdown noch von Hamsterkäufen abgeraten hatten, bekam zu hören: „Warum schreist du so? Andere leiden in aller Stille. Du bringst deinem Land Schwierigkeiten. Dein Fall wird im Ausland auf Anti-China-Websites zitiert.“ Frauen, die um Tampons und Binden bitten, werden von manchen bezichtigt, feministische Ideologie zu verbreiten.
Essenstüten in Xi’an Ende Dezember
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Bild: Reuters
Die Notlage in Xi’an bringt einmal mehr die Konflikte in der chinesischen Gesellschaft zum Vorschein. Viele kritische Stimmen werden von den Zensoren gelöscht, was den Unmut über die Lage nur noch größer werden lässt. „Schockierend, dass die Regierung die Hälfte ihrer Energie darauf verwendet, Interneteinträge zu löschen“, schreibt ein Nutzer. Manche Berichte des Staatsfernsehens stoßen auf Argwohn, so wie ein gestellt wirkendes Video, in dem Helfer sich gegenseitig Essenssäcke zuwerfen, die wohl auch mit dem Auto hätten transportiert werden können.
Noch eine große Stadt macht zu
Verhungern wird in Xi’an vermutlich niemand, hungern aber schon. Das liegt wohl auch daran, dass die kommerziellen Essenslieferanten, die sonst Chinas Großstädter versorgen, ebenfalls ihre Wohnung nicht verlassen dürfen. Die Journalistin Jiang Xue berichtet in ihrem Tagebuch von Freunden, die einen Aufruf an die Lokalregierung richten wollten, lieber dem Markt und privaten Hilfsinitiativen die Versorgung der Bevölkerung zu überlassen. Doch am Ende traute sich keiner, seinen Namen darunterzusetzen.
Ein Lockdown-Ende ist nicht abzusehen. Er werde erst aufgehoben, wenn Neuinfektionen nur noch bei isolierten Kontaktpersonen entdeckt würden, teilten die Behörden mit. Seit Beginn des Ausbruchs am 9. Dezember wurden in der alten Kaiserstadt Xi’an etwa 1600 Corona-Fälle gemeldet, am Dienstag erstmals seit Tagen weniger als hundert Neuinfektionen. Auch die Versorgungslage entspannt sich allmählich. Im Internet kursieren Bilder von geliefertem Gemüse. Noch immer aber gibt es Wortmeldungen wie diese: „Der Supermarkt ist 50 Meter von meinem Haus, aber ich darf nicht dorthin. Die Regierung verteilt Essen umsonst, aber nur an Wohnungsbesitzer, nicht an Mieter. Die Verwaltung bietet Gemüselieferungen für eine Gebühr von 50 RMB (sieben Euro) an.“
Durch die einsamen Straßen von Xi’an
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Bild: AFP
Mehr Sorgen bereiten den Bewohnern inzwischen Berichte über Leute, die ohne Vorwarnung, teils mitten in der Nacht, in Quarantäne-Einrichtungen gebracht werden, weil in ihrem Wohnblock einzelne Corona-Fälle entdeckt wurden. Nach offiziellen Angaben betrifft das etwa 40.000 Menschen. Unterdessen wurde am Dienstag eine weitere Stadt abgeriegelt. Die mehr als eine Million Einwohner von Yuzhou in der Provinz Henan sollen ihre Wohnungen nicht mehr verlassen, nachdem drei Neuinfektionen gemeldet worden ware.
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