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#Feierten indigene Brasilianer einst karnevalsähnliche Feste?

In der Pampa Brasiliens haben die indigenen Völker offenbar schon lange vor der europäischen Kolonialisierung saisonale Feste gefeiert, wie archäologische Analysen von altem Keramik-Geschirr nahelegen. Die organischen Überreste zeugen von alkoholischen Getränken aus fermentierten Pflanzen und fettigen Fischgerichten. Die Forschenden vermuten, dass sich aus dem sommerlichen Fischfang an einer Lagune saisonale Feste mit hoher kultureller Bedeutung entwickelt haben. Hat der heutige brasilianische Karneval demnach indigene Wurzeln?

Bunte Kostüme, laute Musik, fettiges Essen, Alkohol und große Menschenmengen: In Brasilien feiern die Menschen derzeit wieder tagelang Karneval. Der Brauch ist jahrhundertealt und mit einer anschließenden Fastenzeit verknüpft, in der Fisch statt Fleisch gegessen wird. In Brasilien vereint der Karneval heute vor allem kulturelle Einflüsse der christlichen Eroberer aus Portugal mit Traditionen der einst als Sklaven aus Afrika ins Land gebrachten Menschen.

Karnevalsähnliche Festtage könnte es aber schon im präkolumbischen Brasilien gegeben haben: an der riesigen Patos Lagune im Süden des Landes. An deren Ufern finden sich hunderte Erdhügel, sogenannte „Cerritos“, die die Charrúa und Minuano beginnend vor rund 4.700 Jahren aufgeschichtet haben. Diese indigenen Ureinwohner lebten als Nomaden in der Graslandschaft der südamerikanischen Pampa. Die erhöhte Bauweise dieser Erdhügel von bis zu sieben Metern hat die Menschen damals wahrscheinlich vor saisonalem Hochwasser geschützt. Die zwischen 30 und 60 Meter breiten Cerritos wurden unter anderem für Rituale, Begräbnisse, als territoriale Markierungen und Denkmäler verwendet, aber auch als Wohnplatz. Sie waren zudem wahrscheinlich ein Treffpunkt für Menschen aus dem größeren Umland der Lagune. Denn Isotopenanalysen von dort entdeckten menschlichen Knochen und Zähnen deuten darauf hin, dass sich die Bewohner ganz unterschiedlich ernährten.

Foto einer der untersuchten Tonscherben
Tonscherbe aus den „Cerritos“. © M. Admiraal

Fermentierte Lebensmittelreste in Keramik-Geschirr

Dieser Spur ist nun ein Team um Marjolein Admiraal von der University of York nachgegangen. Dafür analysierten die Forschenden 54 Bruchstücke von Keramik-Gefäßen, die in Pontal da Barra an der Patos Lagune entdeckt wurden. Die Scherben stammen von getöpfertem Geschirr und sind wie die beiden Cerritos, aus denen sie ausgegraben wurden, zwischen 2300 und 1200 Jahren alt. Die molekularen Analysen der Tonscherben ergaben, dass sie organische Überreste von Lebensmitteln enthalten. Darunter waren Gemüsesorten, wahrscheinlich stärkereiche Knollen wie Maniok und Kürbisse, Mais und Palmfrüchte, aber auch Reste von Fischen aus dem Meer und aus der Lagune. Fleisch von Landtieren war offenbar nicht darunter.

„Durch detaillierte chemische Analysen konnten wir feststellen, welche Produkte in den Cerritos-Keramikgefäßen vorhanden waren, aber auch, wie die Menschen diese Produkte zubereitet haben: durch Erhitzen, Lagerung und möglicherweise Fermentation“, erklärt Seniorautor Oliver Craig von der University of York. Die Molekülzusammensetzung der Überreste deutet zudem auf unterschiedliche Kochtemperaturen und -dauern hin. Zusammengenommen legen diese Spuren nahe, dass die Menschen dieses Geschirr damals mit alkoholischen Getränken aus fermentiertem Gemüse und fettigen Fischeintöpfen gefüllt haben, schließen Admiraal und ihre Kollegen. Ob die Gerichte darin hergestellt, haltbar gemacht, gelagert oder daraus verzehrt wurden, ist unklar. Der Fisch könnte auch fermentiert oder zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet worden sein.

Foto eines Glasgefäßes mit aus der Keramik extrahiertem Fett
Aus der Keramik extrahiertes Fett. © M. Admiraal

Parallelen zwischen präkolumbischen und modernen Kulturen

Das Team vermutet, dass sich die Anwohner der Hügel einst vor allem in den Sommermonaten dort getroffen haben, um den zu dieser Zeit reichhaltigen Fischbestand auszuschöpfen. Denn viele migrierende Fischarten, unter anderem Welse und die Fischart Micropogonias furnieri, kehren im Sommer aus dem Atlantik zum Laichen in die Lagune zurück. Die riesigen Mengen Fisch zu verarbeiten, könnte eine kollektive Anstrengung erfordert haben. Das wiederum könnte zu saisonalen Schlemmereien und kulturellen Feiern geführt haben, so die Forschenden.

Dass es solche Zusammenhänge gibt, belegen Zusammenkünfte auch moderner Kulturen: „Wir sehen Beispiele für solche Praktiken auf der ganzen Welt, die oft mit dem saisonalen Reichtum an wandernden Arten zusammenhängen“, sagt Admiraal. „Diese Veranstaltungen bieten eine hervorragende Gelegenheit für soziale Aktivitäten wie Beerdigungen und Hochzeiten und haben eine große kulturelle Bedeutung.“ Von späteren indigenen Völkern in Brasiliens Tiefland ist ebenfalls bekannt, dass sie Teile von Palmpflanzen zu Getränken für Rituale fermentiert haben und dafür Keramik genutzt haben.

Inwieweit die indigenen Praktiken in den brasilianischen Karneval eingeflossen sind, ist unklar. Die Erkenntnisse bestätigen jedoch, dass die Hügel an der Patos Lagune wichtige Zeugnisse der indigenen Kulturgeschichte der brasilianischen Pampa sind. Sie geben Einblick in die frühen Traditionen sowie kulinarische und soziale Praktiken der südamerikanischen Ureinwohner – lange vor der Eroberung durch Europäer im 16. Jahrhundert.

Quellen: University of York, Autonome Universität Barcelona (UAB); Fachartikel: PLOS One, doi: 10.1371/journal.pone.0311192

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