Film-Schauspieler Winfried Glatzeder zum 80. Geburtstag

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Die Gefahrenzone zwischen „offensiv charmant“ und „superlästig“ ist kein bequemer Aufenthaltsort. In der DDR-Fernsehserie „Die sieben Affären der Doña Juanita“ aus dem Jahr 1973 hat der Schauspieler Winfried Glatzeder aber keine Wahl: Er muss auf diesem Streifen tanzen, nämlich die einschüchternd unglaublich tolle Renate Blume umgarnen, die in der knallvollen Straßenbahn einen Roman lesen will, statt sich verführen zu lassen. Zugegeben, der aufdringliche Typ sieht schon nach was aus (mehr schön als hübsch, eher Keith Richards als Elvis, eine Partnerin in einem Film nennt ihn mal „schön griffig“), und wie er der Frau so über’n Buchrand direkt ins Gesicht guckt, das fasziniert zumindest alle anderen in der Bahn. Aber er scheitert. Beziehungsweise: Erst scheitert er, später nicht, und da wird’s erst richtig schwierig. Sowas liegt Winfried Glatzeder. Er spielt einerseits immer mit vollem Einsatz und andererseits nicht auftrumpfend, deshalb hält man ihn in Rollen aus, bei denen andere entsetzlich nerven müssten. Bei der sichtbaren Selbstbezogenheit seines Stils von „Narzissmus“ zu reden, verfehlt den Reiz der Sache: Dieser Darsteller zeigt nicht Eigenliebe, sondern Liebe zur Rolle, und die ist ihm nicht das Eigene, sondern das erst noch zu Erschließende und zu Erspielende.
Titelfigur in „Die Legende von Paul und Paula“
Größte Geltung im Fach erwarb Glatzeder sich mit dieser Technik als die männliche von zwei per Plot schwer gezausten Titelfiguren des Lieblingsfilms von Angela Merkel, „Die Legende von Paul und Paula“ (ebenfalls 1973, es war ein Hammerjahr für Film und Fernsehen der DDR). Paul zerstört am Ende als Liebesbeweis eine Tür genau so, wie Jack Nicholson das aus anderen Gründen in „The Shining“ (1980) tut, die Axt im Haus ersparte damals noch den Paartherapeuten, aber von solchen Krawalleffekten abgesehen ist „Die Legende von Paul und Paula“ vor allem süß – die Szene, in der die beiden Haupthübschen auf einem noch nicht (und vielleicht nie) fertiggestellten Bürgersteig nebeneinander hergehen, graziös und besoffen, zwei Seiltanz-Engel auf parallel schnurgeraden Wegen, hoch über der Hölle des Alltags, ist ein Bild innig menschlicher Begegnung, das womöglich sogar Leute erreicht, die das Wunder Liebe persönlich gar nicht kennen.
Die oft amourös Übereifrigen, die man Glatzeder gern hat spielen lassen, beschenkt er, das macht seine Magie aus, mit einer paradox reflektierten Sorte Arglosigkeit, als hätten sie sich überlegt: „Wenn ich nicht zu viel denke, kann ich intelligenter handeln.“ Ein guter Name dafür, aus der deutschen Tradition, ist „Till Eulenspiegel“, den Glatzeder deshalb auch fein gespielt hat, nämlich im gleichnamigen Film aus dem Jahr 1975 von Rainer Simon, nach einem Plan von Christa und Gerhard Wolf.
Symbol der Einsicht
Wie Renate Blume in „Juanita“ und Angelica Domröse in „Paul und Paula“ tritt auch diesmal eine brillante Frau in Erscheinung, die ihn skeptisch, aber durchaus fasziniert seinen Flachs machen lässt, damit das Publikum die Vertiefung seiner Präsenz in ihrer Reaktionsironie genießen kann. Im „Eulenspiegel“ ist es die große Cox Habbema, die Eulenspiegels Feststellung, „Glück und Weiber“ seien dem Narren „hold“ mit Blicken in die gebührenden Anführungszeichen setzt (es ist ja ein Zitat). Das DDR-Publikum hat sich Glatzeders Gesicht zumeist als ein Symbol der Einsicht gemerkt, dass Schönheit die Probleme, die sie hat und verursacht, nicht selbst lösen kann, weil sie ein Versprechen ist, keine Tatsache. Zöge man die Lösungen, die Glatzeders Figuren jener Epoche für dieses Problem durchprobieren, aus dem Film herüber ins echte Leben, müsste man an ihnen verzweifeln – „Paul und Paula“ etwa sagt im Grunde: Wenn die Menschen das, was sie aus Gewohnheit und Sozialdruck machen, nämlich Paarungsverhalten und Familienscharaden aufführen, stattdessen aus Leidenschaft und mit visionärem Elan täten (sowie mit toller Musik wie dem Puhdys-Monsterhit „Wenn ein Mensch lebt“), dann wäre alles ganz zauberhaft. Wer glaubt sowas?
Sowas glauben Menschen, die noch empfänglich sind für Popkultur, Songs, romantische Filme und so weiter – mit anderen Worten: Jugendliche und junge Erwachsene. Personen, die derlei in der DDR erlebt und verarbeitet haben, Leute also, deren kultur-hormonelles Erweckungserlebnis vielleicht die heilige Lagerfeuerszene in Joachim Haslers „Heißer Sommer“ (1968) war und die dann das postpubertäre Nachspiel dazu in der Tonart „Die Erde ist ein erotisches Jammertal, aber Menschen sind süß“ per „Paul und Paula“ mitgekriegt haben, verdanken einem besonderen Zusammentreffen von zeithistorischen und individualbiografischen Umständen ein weltweit ziemlich einzigartiges Verhältnis zum Altern populärer Kunst.
Allgemein durchgesetzt ist heute, nicht zuletzt mittels digitaler Technik, ein schonungsloses Abmelken und Zu-Geld-Machen nostalgischer Stauungen von pop-fähigen Affekten in zahllosen Menschenherzen. Von den „Erinnerungen“, mit denen da gehandelt wird, verlangt man nicht mal mehr, dass sie an etwas erinnern, das es je gab, geworben wird vielmehr mit: „Das, wonach du dich zurücksehnst, gibt es immer noch, greif zu!“ (Hier, Opa, hör‘ doch ein paar KI-generierte Heavy-Metal-Kracher Marke 1985). Den DDR-Alten aber kann man nicht einreden, es gäbe die Welt noch, in der sie jung und risikobereit waren. Es gibt sie nicht mehr, und wer das weiß, geht oft pfleglicher mit der eigenen emotionalen und ästhetischen Lerngeschichte um als die Suggestiblen und Illusionsabhängigen. Winfried Glatzeder beispielsweise macht als alter Herr einen prima unkrummen Eindruck: In Robert Thalheims „Kundschafter des Friedens“ (2017) begrüßt er seine ergrauten DDR-Auslandsagenten-Kollegen, in Wahrheit DDR-Kunstkollegen, beim Wiedersehen nach langer Zeit mit „Hey Jungs“, und Henry Hübchen stellt fest: „Siehst gut aus!“ Wenn Hübchen sowas sagt, kannst du darauf Burgen bauen, der hat das Gutaussehen persönlich erfunden, wie Till Eulenspiegel das systematische Schlingelantentum. Heute wird der gepflegte Spitzenschlingel Winfried Glatzeder achtzig Jahre alt.
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