#Verringerte Albedo sorgt für rasche globale Erwärmung

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Im Jahr 2023 stieg die globale Durchschnittstemperatur auf fast 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Diesen neuen Temperaturrekord konnte die Klimawissenschaft bisher nur teilweise erklären – eine Lücke von etwa 0,2 Grad Celsius blieb rätselhaft. Eine Studie führt diesen Anstieg nun darauf zurück, dass es immer weniger tiefhängende Wolken gibt, die Sonnenlicht reflektieren würden. Dadurch erwärmt sich unser Planet stärker als bisher angenommen. Aus Sicht der Forschenden könnten die Ergebnisse auch Einfluss auf globale CO2-Budgets haben.
Seit März 2023 haben die Meeresoberflächentemperaturen bisherige Temperaturrekorde deutlich gebrochen. Insbesondere im Nordatlantik registrierten Forschende starke Hitzewellen. Auch das Meereis an den Polen ging bedeutend zurück – darunter nach vielen Jahren der Stabilität auch das antarktische Meereis. Zugleich erreichte die globale Durchschnittstemperatur erstmals einen Wert von fast 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Einen Teil der Erwärmung kann die Klimawissenschaft mit einer Reihe bekannter Faktoren erklären. Neben den menschlichen Treibhausgasen trug vor allem das Wetterphänomen El Niño in dieser Zeit zu der Erwärmung bei. Zudem nähert sich die Sonnenaktivität, die in elfjährigen Zyklen verläuft, einem Maximum.
Rückgang der planetaren Albedo
Doch auch zusammen mit weiteren Faktoren wie Vulkanausbrüchen blieb eine Lücke von etwa 0,2 Grad Celsius, die sich bisher nicht schlüssig erklären ließ. „Die 0,2-Grad-Celsius-‘Erklärungslücke’ für 2023 ist derzeit eine der am intensivsten diskutierten Fragen in der Klimaforschung“, sagt Helge Goessling vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Auf der Suche nach Ursachen hat er gemeinsam mit seinem Team nun Satellitendaten der NASA sowie Analysedaten des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) in Bonn genauer unter die Lupe genommen. Dabei kombinierten die Forschenden die Beobachtungsdaten mit einem komplexen Wettermodell.
„Was uns auffiel, war, dass sowohl in den NASA- als auch in den EZMW-Daten das Jahr 2023 als das Jahr mit der niedrigsten planetarischen Albedo herausstach“, sagt Co-Autor Thomas Rackow vom EZMW. Die planetarische Albedo beschreibt den Prozentsatz der einfallenden Sonnenstrahlung, der nach allen Wechselwirkungen mit der Atmosphäre und der Erdoberfläche in den Weltraum zurückreflektiert wird. „Wir haben in den letzten Jahren bereits einen leichten Rückgang beobachtet. Die Daten deuten darauf hin, dass die planetarische Albedo im Jahr 2023 den niedrigsten Stand seit mindestens 1940 erreicht haben könnte.“ Durch eine verringerte Reflexion absorbieren Land und Meer mehr Sonnenwärme. Dies würde die globale Erwärmung verschärfen und könnte die „fehlenden“ 0,2 Grad Celsius erklären.
Weniger tiefhängende Wolken
Doch warum ist die planetarische Albedo so stark gesunken? Einen Anteil hat der Rückgang von Schnee und Meereis an den Polen, wie das Team erklärt. Da das Wasser des eisfreien Meeres und der unverschneite Untergrund weniger Sonnenlicht reflektieren als Schnee und Eis, bleibt mehr Wärme in der Atmosphäre. „Unsere Analyse der Datensätze zeigt jedoch, dass der Rückgang der Oberflächenalbedo in den Polarregionen nur etwa 15 Prozent des jüngsten Rückgangs der planetarischen Albedo ausmacht“, sagt Goessling. Einen größeren Einfluss hatten den Analysen zufolge die Wolken.
„Auffällig ist, dass der östliche Nordatlantik, der einer der Haupttreiber des jüngsten Anstiegs der globalen Mitteltemperatur ist, durch einen deutlichen Rückgang der Wolken in niedriger Höhe gekennzeichnet war – nicht nur im Jahr 2023, sondern auch in den vergangenen zehn Jahren“, berichtet Goessling. Gerade die tiefhängenden Wolken sind jedoch für den Albedo-Effekt besonders wichtig, wie die Forschenden erklären. Zwar reflektieren Wolken in allen Schichten der Atmosphäre Sonnenstrahlung zurück ins Weltall. Die hohen Wolken reflektieren aber auch von der Erdoberfläche abgestrahlte Wärme nach unten zurück und halten sie dadurch in der Atmosphäre. „Wenn es weniger niedrige Wolken gibt, verlieren wir nur den kühlenden Effekt und es wird wärmer“, sagt Goessling.
Schnellere Erwärmung als gedacht?
Ein Grund dafür, warum die niedrigen Wolken zurückgegangen sind, könnte den Forschenden zufolge darin liegen, dass dank strengerer Vorschriften für Schiffstreibstoffe weniger Aerosole in die Atmosphäre gelangen. Abgase von Schiffen hatten über Jahrzehnte hinweg für dichte, tiefhängende Wolken über den Weltmeeren gesorgt, da die Aerosole Kondensationskerne für Wasserdampf bilden. Auch natürliche Rückkopplungsmechanismen im Ozean sowie die globale Erwärmung selbst können dazu beitragen, dass sich weniger niedrige Wolken bilden.
„Wenn ein großer Teil des Albedo-Rückgangs tatsächlich auf Rückkopplungen zwischen globaler Erwärmung und tiefhängenden Wolken zurückzuführen ist, wie einige Klimamodelle vermuten lassen, müssen wir in Zukunft mit einer ziemlich starken Erwärmung rechnen“, sagt Goessling. „Die langfristige globale Erwärmung könnte die 1,5-Grad-Celsius-Grenze schneller überschreiten als erwartet. Die verbleibenden Kohlenstoffbudgets, die an die im Pariser Abkommen festgelegten Grenzen gebunden sind, müssten entsprechend reduziert werden, und die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Anpassung an die Auswirkungen künftiger Wetterextreme zu ergreifen, würde noch dringlicher.“
Quelle: Helge Goessling (Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven) et al., Science, doi: 10.1126/science.adq7280
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