#Florenz ist das nicht
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„Florenz ist das nicht“
Aller Ostblock-Tristesse zum Trotz sind meine Eltern inmitten von Schönheit aufgewachsen. Ihre polnische Geburtsstadt Toruń ist ein einziges Postkartenmotiv aus Gotik und Pastell. Dass meine Mutter und ich unsere Reise ausgerechnet am Bahnhof dieser Stadt starten, macht mich nervös. Denn plötzlich blickt meine Mutter, sonst tipptopp gekleidet, auf ihre staubigen Sneaker und sagt: „Bevor ich nach Lodsch fahre, putze ich mir die Schuhe nicht. Das lohnt sich nicht.“
Eigentlich sagt sie nicht „Lodsch“, sondern „Łódź“, so heißt Polens drittgrößte Stadt in der Landessprache. Dafür spricht sie das „Ł“ wie ein englisches „W“, das „ó“ wie ein „u“ und das „dź“ wie ein unterdrücktes Niesen („tch!“). Tatsächlich ist der Name nicht einmal das größte Problem der Stadt.
Seit der Berliner Louis Geyer dort 1839 die erste Dampfmaschine in Betrieb nahm, standen diese und viele weitere nach ihr bis Ende des 20. Jahrhunderts selten still. Auf das Aus der Fabriken folgte erst mal nichts. Wurde Łódź lange mit Dreck und Arbeiterelend assoziiert, waren es zuletzt Dreck und Perspektivlosigkeit. Auf den Displays einiger Züge erscheint die Stadt als „??d?“, als wüsste selbst die Polnische Bundesbahn nicht, was man dort soll.
Wiederbelebungsversuche
Wer mit dieser Einstellung am 2016 neueröffneten Bahnhof „Fabryczna“ aussteigt, schämt sich vielleicht, auch für die Turnschuhe: Die Stuckfassade des alten Bahnhofsgebäudes bildet eine elegante Seitenwand, der Rest ein Spektakel aus Stahl und Glas. Um Trödeltouristen muss man hier keinen Bogen machen, denn erstens gibt es sie kaum, und zweitens ist der Bahnhof noch so leer, dass man sich fühlt wie an einem Flughafen mit unglaublich moderaten Getränkepreisen. Für einen ersten Eindruck von der Stadt eignet sich der Bahnhof aber hervorragend: Alles im Umbruch und noch lange nicht fertig. Die großen Ambitionen, das Schmuddelimage loszuwerden und dabei das industrielle Erbe zu bewahren, sind dabei überall zu spüren.
Łódź“ ist Polens drittgrößte Stadt
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Bild: P. Miłek
Lokalpolitiker, Aktivisten und Unternehmer fassen dieses Vorhaben in einem Wort zusammen: Revitalisierung. Menschen, die etwa in Frankfurt oder Berlin eine Wohnung suchen, dürften sich jetzt erschrecken. Revitalisierung klingt nach vollbärtigen Männern, die Trüffelburger auf Brettchen servieren, nach Luxussanierung und Verdrängung. Hier sei das anders, beteuert Hanna Gill-Piątek, Aktivistin und Abgeordnete für Łódź im polnischen Parlament. Bei der Revitalisierung gehe es darum, die Stadt für ihre Bewohner besser zu machen.
Was damit gemeint ist, zeigt sie auf einem Spaziergang entlang frisch begrünter Bürgersteige, moderner Wohnkomplexe und verkehrsberuhigter Straßen, schlimm für Autos, toll zum Spazieren. Daneben stets Hinweise darauf, wie viel noch zu tun ist. Überall stehen Altbauruinen mit zerschlagenen Fenstern, abbröckelndem Putz, düsteren Treppenhäusern. Wäre da nicht der Baulärm, man könnte die Gespenster heulen hören.
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