Nachrichten

#Folter und Manipulation

Folter und Manipulation

Von Zeit zu Zeit, wenn sie mal wieder die Last ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung spüren, setzen sich die Programmmacher des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zusammen und denken über die ganz großen Fragen nach. Den Bildungsauftrag zu erfüllen, das klingt für die Fernsehmenschen oft grausam, nach Dokus über Nischenprobleme und deprimierenden Quoten. Zum Glück aber gibt es seit ein paar Jahren einen Mann, der regelmäßig zeigt, wie man die schwersten Menschheitsdramen als packende Geschichten aufbereitet, als Krimi, ganz ohne Blut und Spezialeffekte. Deshalb bekommen die Fernsehmacher schon lange keine Kopfschmerzen mehr, wenn sie das Gefühl befällt, sie müssten mal wieder ganz tief über Verantwortung und Freiheit nachdenken, über Schuld und Strafe, über Recht und Gerechtigkeit. Sondern rufen Ferdinand von Schirach an.

Harald Staun

Harald Staun

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Der ehemalige Strafverteidiger Schirach hat sich als Autor einen gespenstischen Erfolg erarbeitet. Seine Kurzgeschichten leben von kühlen Stakkato-Sätzen, die manche als sparsamen, harten Stil bewundern, auch wenn sie schnell ermüdend wirken, vor allem aber von einer Aura des Authentischen, obwohl die wenigsten der fiktiven Fälle aus seiner Praxis stammen. Seit ein paar Jahren hat er auch als Theaterautor eine Formel gefunden, die ein Massenpublikum in seinen Bann schlägt: In seinen Stücken „Terror“ und „Gott“ werden klassische ethisch-moralische Dilemmata verhandelt wie in einem Gerichtsprozess. Der Anwalt heißt immer Biegler, er ist eine Art Alter-Ego Schirachs, wenn er auch nicht immer die gleichen Positionen vertritt. Sämtliche Figuren sagen die klassischen Pros und Contras zu irgendeinem superrelevanten ethischen Problem auf.

Als Theaterstück ist das ziemlich öde, weil das Stück den Figuren jede Individualität verbietet, schließlich sollen sie möglichst allgemeingültig daherreden. Aber ein besonderer Gimmick verfehlt seine Wirkung nicht: Am Ende darf das Publikum abstimmen. Bei „Terror“ muss es sich entscheiden, ob ein Major für den Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeugs bestraft werden soll, obwohl er damit möglicherweise Tausenden Menschen das Leben rettete, in „Gott“, ob ein unglücklicher Witwer ein tödliches Medikament bekommen soll. Oder so ähnlich. Eines der Grundprobleme von Schirachs Versuchsanordnung ist es, dass es ihm bei allem Mut zur Komplexitätsreduktion am Ende nie gelingen kann, all die Probleme, die er aufwirft, in eine einzige binäre Frage zu fassen. Deshalb stellt er am Ende immer die falschen Fragen.

Am Erfolg ändert das nichts: „Terror“ machte Schirach zum meistgespielten Dramatiker des Landes. „Gott“ brachte es im Corona-Jahr 2020 in nicht einmal zwei Monaten auf 99 Aufführungen an acht Theatern. Besondere Fans aber haben die Stücke bei der ARD, wo beide mit viel Brimborium als Event ausgestrahlt wurden, mit prominentem Sendeplatz, Star-Besetzung, Abstimmung und anschließender Talkshow. Am kommenden Sonntag ist es schon wieder so weit, diesmal auf allen Kanälen: „Feinde“ heißt das neue Projekt, zwei Filme aus zwei Perspektiven, die gleichzeitig im Ersten und auf allen dritten Programmen laufen und dann noch einmal umgekehrt, zwischendurch gibt es eine Dokumentation. Es geht um einen Fall, der an die Entführung des Frankfurter Bankierssohns Jakob von Metzler im Jahr 2002 erinnert und an die anschließende Debatte um den Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner, der dem Entführer Magnus Gäfgen damals Gewalt angedroht hatte, um das Versteck von Jakob zu erfahren. Schon in seinem Roman „Tabu“ hatte Schirach den Fall literarisch verwertet, hier erzählt er ihn nun einmal aus Sicht des Polizeikommissars Nadler (der es diesmal nicht bei der Androhung der Folter belässt), ein zweites Mal aus der des Strafverteidigers Biegler.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!