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#Frei sein im Kontrollraum

Frei sein im Kontrollraum

Wenn spektakuläre Verbrechen geschehen, wird im Nachhinein oft die Geschichte der Opfer erzählt. Oder die Geschichte der Täter rekonstruiert. Was die Öffentlichkeit seltener erreicht, sind die Geschichten der Angehörigen der Opfer, die davon berichten, in welcher Weise das Verbrechen ihr Leben verändert hat – manchmal für immer. Im Umgang mit den terroristischen Verbrechen der RAF war gerade deshalb das Buch „Für die RAF war er das System, für mich der Vater“ der Journalistin Anne Siemens, das im Jahr 2007 erschien, ein Paradigmenwechsel. Die Mitglieder der RAF waren auf eine fast zynische Weise zu Berühmtheiten geworden, ihre Fotos zu Ikonen, während das Buch erstmals die Perspektive konsequent umdrehte, die Angehörigen der Opfer des Linksterrorismus in den Blick nahm und sie zu Wort kommen ließ. Jedenfalls jene, die sich äußern wollten. Die Witwe von Alfred Herrhausen, des ehemaligen Vorstandssprechers der Deutschen Bank, der 1989 bei einem Autobomben-Attentat ums Leben kam, zu dem sich wenig später die RAF bekannte, hatte sich 2001 schon geöffnet, als der Regisseur Andres Veiel für seinen Film „Black Box BRD“ Herrhausens Geschichte nachzeichnete. Veiel erzählte parallel dazu aber auch die eines Täters, des RAF-Terroristen Wolfgang Grams, dem er genauso viel Platz einräumte.

Julia Encke

Julia Encke

Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

„Wir sind dann wohl die Angehörigen“ hieß vor drei Jahren das Buch eines jungen Autors, dessen Name nicht besonders berühmt klang und auch nicht berühmt klingen sollte. In der Musikszene in Hamburg kennt man den Musiker und Produzenten, der 2003 das Tonstudio Rekordbox, zwei Jahre später Clouds Hill Recordings gegründet hat, wo Pete Doherty, At the Drive-In oder Omar Rodríguez-López schon Alben produziert haben. Er heißt Johann Scheerer, trägt den Namen seiner Mutter – und ist der Sohn von Jan Philipp Reemtsma, dem Germanisten und Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Er war dreizehn Jahre alt, als sein Vater am 25. März 1996 auf seinem Grundstück in Hamburg-Blankenese entführt und 33 Tage in einem Keller festgehalten wurde. Reemtsma veröffentlichte 1997 das Buch „Im Keller“ über diese Entführung und über seine Gefangenschaft. Einen „zerstörerischen Einbruch“, eine „Vergewaltigung“ und „Exterritorialität“ nannte er darin den Keller, der in seinem Leben bleiben werde und doch nicht zu einem Teil des Lebens zu machen sei.

Knapp zwanzig Jahre später beschrieb sein Sohn Johann in „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ seine Version dieser 33 Tage. Er erzählte, wie sich sein Elternhaus in eine Einsatzzentrale, einen permanenten Konferenzraum verwandelte. Wie alle darauf warteten, dass etwas passierte. Dass das Telefon klingelte, die Entführer sich wieder meldeten, ein Lebenszeichen des Vaters eintraf, die Geldübergabe endlich glückte. Wie jedes Zeichen, jeder Buchstabe, der sie von dem Entführten erreichte, exzessiv auf mögliche Bedeutungen und Interpretationen abgetastet wurde. Und er beschrieb auch, wie mit der Entführung des Vaters so etwas wie Privatheit für ihn abhandenkam. Allerdings hielt man deren Wiedergewinnung, wenn davon auch nicht explizit die Rede war, am Ende nicht für ausgeschlossen. Zu Unrecht, wie sich zeigt.

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