Wissenschaft

#Fresst einander! – Primaklima

Fresst einander! – Primaklima

John Ruskin, der berühmte englische Kunsthistoriker des 19ten Jahrhunderts, war genau wie seine Zeitgenossen erschüttert von den sich zu dieser Zeit häufenden Erkenntnissen der Geologie. Charles Lyell und Georges Cuvier erforschten damals nicht nur irgendwelche seltsamen Knochen aus vergangenen Zeiten, sondern stellten die Bibel mit all ihren vermeintlich faktischen Aussagen auf den Prüfstand. Und so sprach der tiefgläubige Ruskin denn auch von den ‘dreadful hammers’ der Geologie:”I hear the clink of them at the end of every cadence of the bible verses”. Wenn ich auch nicht um mein Seelenheil angesichts der jüngsten Ergebnisse der Geologie fürchte, so ist doch auch bei mir diese tiefe Bewunderung und Verehrung geblieben. Wo ich nur Dreck und blöde Steine sehe, bringt ein guter Geologe oder eine gute Geologin immer noch Weltbilder zum Einsturz. Und trotz aller Argon/Argon Datierung hier und Iridium Konzentrationen dort sind doch immer noch die alten Methoden von Hammer und Pinsel gefragt.

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Bild 1: Dumme “Würmer” meandern ziellos umher und grasen einfach nur auf der mikrobiotschen Suppe des Ediacaran (aus Carbone and Narbonne et al.2014).

In Nature dieser Woche erschien ein sehr lesenswerter Artikel von Douglas Fox zur sogenannten Cambrian Explosion. Was ist das? Das Proterozoicum umfasst die Zeit von etwa einer Milliarde Jahren bis ca. 550 Millionen Jahren vor heute. Es war, so glauben die meisten Geologen heute, charakterisiert durch eine Abfolge von praktisch vollständigen Vereisungen und nachfolgenden abrupten Enteisungen der Erde (“snowball earth”). Das Leben bestand aus einer Art Riesenpetrischale am Boden der Ozeane, deren Substrat aus Microorganismen von einer riesigen Zahl von Kleinstlebewesen im Schneckentempo gemütlich abgeerntet wurde. Alles sehr friedlich und ohne viel Stress. Doch in wenigen Millionen Jahren tauchten plötzlich Beine, Proto-Augen und Körperschalen auf, alles Dinge, die man braucht, wenn man andere fressen will, und die zu Fressenden dann meinen, weglaufen und sich schützen zu müssen. Die Kambrische Explosion beschreibt also den wahrscheinlich größten Sprung, den die Evolution auf unserem Planeten je gemacht hat. Der Beginn eines evolutiven Wettrüstens, in dem das Bessere stets der Feind des Guten ist. Was ist also da genau geschehen vor 550 Millionen Jahren?

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Bild 2: Kaum im Kambrium angekommen, schlägt das Gewürm auf einmal Haken, geht sich aus dem Weg oder jagt gar hintereinander her (aus Carbone and Narbonne et al.2014).

 

 

 

 

 

Einer der Hauptverdächtigen ist Sauerstoff. Erst durch Sauerstoff wird das Zersetzen organischer Materie (i.e. Fressen) ein echter energetischer Gewinn. Alle anaeroben Formen der Zersetzung, etwa durch Schwefel- oder Eisenverbindungen kommen nicht im Mindesten an die des Sauerstoffs heran. Jäger zu werden wird erst durch Sauerstoff eine profitable Option. Die Sauerstoffhypothese besagt nun gerade, dass zur Zeit des Eintritts ins Kambrium der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre und dann auch des Ozeans von weniger as 0.5% auf deutlich über 3% Anstieg. Plötzlich wurde es sehr interessant sich andere einzuverleiben und natürlich, sich darum zu bemühen, genau das zu verhindern. Lebewesen fingen unter beachtlichen evolutiven Kosten an, Schalen zu bauen und in die richtige Richtung (i.e. weg vom Räuber) wegzulaufen. Woher soll man aber wissen, wohin ein “Wurm” (das ist hier kein biologischer Ausdruck, sondern nur ein optischer Eindruck) vor 550 Millionen Jahren hingelaufen ist? Nun, dafür hat man Menschen wie Guy Narbonne und Cala Carbone, die sich fossilierte Spuren von diesem Gewürm angeschaut haben. Sie kamen zu dem Schluss, daß in prekambrischen Schichten, das Leben durch beliebiges Herumeiern und Grasen der mikrobiotischen Schicht bestimmt war, während kaum im Kambrium angekommen die Spuren deutlich komplexer und dreidimensionaler werden. Das Gekreuch geht sich aus dem Weg, schlägt Haken, wechselt zu einer anderen Ebene und scheint also auch das nötige Sensorium zu haben, um so etwas zu tun (also aus dem Weg gehen oder eben bessere Nahrung suchen). So eine Analyse ist ja an sich schon faszinierend, aber ich fasse nochmal zusammen, um das ganze Bild vor Augen zu haben: Spuren in 550 Millionen Jahren alten ehemaligen Seesedimenten, die für mich nur wie zufälliges Gekrumsel aussehen, belegen, daß das Leben zu diesem Zeitpunkt deutlich komplexer geworden ist, daß ein ausgeprägteres Jäger/Beute Verhalten auftaucht und daß dies möglicherweise mit einem gleichzeitigen Anstieg der extrem “verdauungsfördernden” Sauerstoffkonzentrationen im Zusammenhang stehen. Wenn das nicht geile Wissenschaft ist, was ist es dann?

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