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#Früher „Novemberverbrecher“, heute „Volksverräter“

Früher „Novemberverbrecher“, heute „Volksverräter“

Heute vor 150 Jahren wurde Friedrich Ebert geboren. Dieser erste Präsident einer deutschen Republik ist einer der wahren Helden der jüngeren Geschichte unseres Landes. Ein Mann, der sein ganzes Leben für Demokratie und Freiheit kämpfte. An ihn zu erinnern ist nicht nur Pflicht aus Respekt vor einer großen historischen Persönlichkeit, sondern mit Blick auf die aktuelle Lage in Deutschland und der Welt notwendig, um aus seinen historischen Erfahrungen Lehren für die Gegenwart zu ziehen.

Als sich beim Zusammenbruch des Kaiserreiches der Kaiser und seine Generäle aus dem Staub machten, um sich vor ihrer Verantwortung für Krieg und Elend zu drücken, begann eine Zeit der Unsicherheit. Für die Integration der in die Heimat zurückkehrenden Armee, für den Versailler Vertrag und die mit ihm verbundenen Lasten, übernahm der neue Reichspräsident Friedrich Ebert die Verantwortung, um sich anschließend dafür von der extremen Rechten gnadenlos verfolgt zu sehen.

Auf einmal war er ein „Novemberverbrecher“

Einer hemmungslosen Hetze gegen die sogenannten „Novemberverbrecher“, die in den Morden an Erzberger und Rathenau endete. Die Kompromisse mit Unternehmen, Reichswehr und konservativen Kräften im Reichstag, die Ebert eingehen musste, um eine einigermaßen stabile Ordnung zu schaffen, führten gleichzeitig zu einer hemmungslosen Verfolgung durch die extrem Linken. „Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten“ war deren Kampfparole.

Martin Schulz ist Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung


Martin Schulz ist Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung
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Bild: © Broadview TV

Für viele Menschen entstand der Eindruck, dass mit der Demokratie Auflösung und Not Einzug gehalten hätten. Armut und Hunger und die Abwesenheit des schützenden Staates radikalisierten die Massen. Die erste deutsche Demokratie und ihr oberster Repräsentant agierten von Beginn an aus der Defensive. Sie hatten nur in seltenen Phasen eine breite Bevölkerungsmehrheit hinter sich.

Das ist heute, hundert Jahre später, anders. Von Beginn der zweiten Republik an war die Demokratie in Westdeutschland unmittelbar mit dem Wirtschaftswunder verbunden. „Wohlstand für alle“ und würdige Löhne waren ab 1949 die mit dem Demokratieprozess einhergehenden Botschaften. In der Bundesrepublik gab es zumeist eine überwältigende Mehrheit von Bürgerinnen und Bürgern, die die Republik bejahten. Das ist auch heute so!

Die Hetze heute erinnert an „Weimar“

Und dennoch blitzt die Hetze und brutale Kompromisslosigkeit, die Ebert zu erleiden hatte, in unseren Zeiten wieder auf. Was früher auf den Straßen und in rauchigen Sälen an Hetze und Aufrufen zu Gewalt passierte, hat sich heute ins Netz verlagert. Die Rhetorik ähnelt dort teilweise dramatisch jener der Weimarer Zeit. Die Verschwörungserzählungen, die Reduktion komplexer Sachverhalte auf einen Sündenbock, der für alle Probleme verantwortlich ist und eliminiert werden muss, ist erschreckend gegenwärtig.

Früher „Novemberverbrecher“, heute „Volksverräter“. „Die Migranten sind an allem schuld“. „Stolz sein dürfen auf die Leistungen unserer Soldaten in zwei Weltkriegen“ – das alles erinnert an die Hetze von Weimar, rassistisch, antisemitisch und militaristisch, wie damals. Und mit den gleichen Ergebnissen: einer brutalen Radikalisierung, die mit der Ermordung von Walter Lübcke und den Anschlägen von Hanau und Halle ihre furchtbaren Höhepunkte erlebte.

Ein Kompromiss ist keine Niederlage

Ebert ist unter der Last der damaligen Entwicklungen jung verstorben, die Republik nur acht Jahre später gescheitert. „Die Demokratie braucht Demokraten“, hat er gesagt. Wir haben heute eine gefestigte Demokratie, aber sie muss sich wehren. Die Demokratie, die vom Kompromiss lebt, muss den Kompromiss als Sieg feiern und darf ihn nicht als Niederlage denunzieren lassen. Das gilt für die Gesetzgebung wie für die Koalitionsbildung.

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Wir müssen Hetze und Rassismus im Alltag bekämpfen und der anonymen Feigheit im Netz den Mut zum öffentlichen Bekenntnis zu den Werten von Toleranz, Respekt und Würde entgegensetzen. Was im Netz los ist, würde auf der Straße nicht geduldet.

Deshalb brauchen wir endlich einen verlässlichen Rechtsrahmen für die Demokratie im Netz – und zwar mindestens auf europäischer Ebene, besser noch weltweit. Was zulässig ist, bedarf der Gesetzgebung und nicht der persönlichen Entscheidung von Mark Zuckerberg oder Jack Dorsey. Der europäische Digital Services Act ist hier ein erster Schritt. Darüber hinaus sollten wir jedoch auch die Initiative einer Digitalen Grundrechtecharte im Zuge der portugiesischen Ratspräsidentschaft auf europäischer Ebene neu beleben.

Eberts Leben war schließlich auch der Kampf um Bildung. Die Pandemie zeigt uns, wie recht Ebert mit dem Kampf um Bildungsgerechtigkeit hatte: Wer sich Privatlehrer leisten kann, wer selbst gut gebildet ist, braucht das Homeschooling nicht zu fürchten – Kinder aus bildungsfernen Schichten schon. Sie werden noch weiter zurückgeworfen. Dies trägt den Keim zukünftiger Spaltung in sich. Einer Spaltung, die die Demokratie gefährdet.

Die Demokratie ist ein fragiles Glück. Dies ist Eberts tagesaktuelle Botschaft. Wir dürfen dieses Glück auch dank des Kampfes von Menschen wie Friedrich Ebert genießen. Aber das Glück muss ständig neu erkämpft werden, und wir dürfen es nicht zerbrechen lassen!

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