Sozialen Medien

#Jahresrückblick mit Serdar Somuncu: ‚Karl Lauterbach ist ein unkalkulierbares Risiko‘

Jahresrückblick mit Serdar Somuncu: ‚Karl Lauterbach ist ein unkalkulierbares Risiko‘

Zusammen mit Kabarettist und Podcaster Serdar Somuncu blicken wir das vergangene Jahr zurück. Dabei rechnet er gnadenlos mit den letzten zwölf Monaten ab.

Der Twitter-Mob kann sich auf die Fahnen schreiben, den orientierungslosesten Schwurbler zum Gesundheitsminister gemacht zu haben.
Serdar Somuncu über den neuen Gesundheitsminister

Hallo Herr Somuncu, vielen Dank für Ihre Zeit. Vor genau einem Jahr haben Sie uns ebenfalls ein Interview gegeben. Damals sagten Sie, dass es Ihnen „beschissen“ gehe. Wie geht es Ihnen heute?
Nicht besser. Ich fühle mich wie in Stahlwatte eingehüllt. In der Vene ein leichtes Betäubungsmittel und dazu eine Menge Adrenalin. Stillgelegt und wütend. Aber zwischendurch auch euphorisch und voller Elan. Ein bisschen bipolar und zuweilen auch depressiv. Alles in allem also der Situation angemessen.

Wie im vergangenen Jahr können Sie ihren Weihnachtsabend «Allah Jahre wieder» nur virtuell veranstalten. Wird das jetzt jeden Winter so sein?
Corona ist ein Kopf- und Hoffnungskiller. Ich lasse mich weder von der Krankheit abschrecken noch hindern mich widrige Verhältnisse. Wenn es nicht auf der Bühne geht, dann eben so. Ich schulde meinen Zuschauern Ausdauer und Überzeugung. Ich will keiner dieser Gefälligen sein, die sich abgeben, sondern ich nehme den kreativen Kampf gegen das Schicksal an. Die Weihnachtsshow ist Ausdruck dieser Idee.

Vor einem Jahr lag die Inzidenz knapp unter 200, jetzt liegt sie bei über 300. Es hat sich also nichts gebessert – trotz verfügbarem Impfstoff. Sehen Sie die Schuld an der Situation beim ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn? Wird es mit Karl Lauterbach im Amt besser?
Wir kommen vom Regen in die Traufe. Keiner weiß warum, aber alle tun so, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. Es gibt viele Widersprüche in dem, was wir gerade erleben. Und am schlimmsten ist, dass gerade die Intellektuellen zu feigen Bücklingen geworden und lieber auf ihren eigenen Profit aus sind, um heil rauszukommen, statt genauso kritisch zu sein, wie sie es sind, wenn es um den Habitus des Rebellischen geht. Ich versuche klar zu bleiben. Und mir ist egal was die Leute dazu sagen. Karl Lauterbach ist ein unkalkulierbares Risiko. Der Twitter-Mob kann sich auf die Fahnen schreiben, den orientierungslosesten Schwurbler zum Gesundheitsminister gemacht zu haben. Diese Wahl wurde mit den Füßen entschieden. Und es werden sich noch einige an Jens Spahn als das geringere Übel erinnern.

Im Januar verabschiedete sich Donald Trump aus dem Weißen Haus. Zuvor rief er noch zum Sturm auf das Kapitol auf. Unter Joe Biden ist es eher ruhig um die Berichterstattung über die USA geworden.
Trump war vielleicht ein Arschloch, aber er hat seine Politik so ehrlich wie möglich verkauft. Biden schickt sich an der unscheinbarste US-Präsident aller Zeiten zu werden und das spielt Trump in die Karten. Es scheint so, als wäre er noch lange nicht fertig und ans Aufgeben denkt er sowieso nicht. Ich sehe seine Amtszeit heute kritisch ambivalent. Auf der einen Seite hat er viele Dinge aufgedeckt und infrage gestellt. Auf der anderen Seite hat er Gräben geschaffen, die nur schwer wieder zu füllen sind. Die Frage danach aber, wie sehr wir davon ausgehen können, dass das System, in dem wir uns eingenistet haben, gerechter ist, als diejenigen, gegen die wir immer gekämpft haben, ist brandaktuell und sie wird in den nächsten Jahren nicht beantwortet werden. Daran ändert auch ein amerikanischer Präsident nichts.

Aus der Kategorie „amüsante Katastrophe“ erreichte uns im März die Nachricht von einem Frachter, der den Suezkanal und damit den globalen Warenverkehr blockierte. Ist das ein gefundenes Fressen für Sie als Kabarettisten?
Mittlerweile ist man froh, wenn man in den Nachrichten etwas anderes liest außer Corona. Insofern war die Meldung zwar amüsementtauglich, aber nicht von Bedeutung.

Im Frühjahr entschieden sich die Union und Grünen für ihren jeweiligen Kanzlerkandidaten. Sowohl Armin Laschet als auch Annalena Baerbock entpuppten sich jeweils als Fehler, würden Sie dem zustimmen? Oder hätten beide Parteien ohnehin keine Chance gehabt gegen Olaf Scholz?
Die Aufstellung der Kanzlerkandidaten war geprägt von Vorsicht und Angst. Bei den Grünen drückte sich das in einer gendergerechten, fast schon sexistischen Wahl aus. Jeder wusste, dass Habeck der bessere Kandidat gewesen wäre. Mir tat Armin Laschet zum Schluss doch etwas leid. Er war die einzige Wahl unter denkbar schlechten Alternativen. Oder hätte sich irgendjemand Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten gewünscht? Dass Olaf Scholz es am Ende geschafft hat, war ein Sieg der Oberflächlichkeit. Wir haben uns in den vielen Jahren der Kanzlerschaft Angela Merkels daran gewöhnt und vielleicht wären wir auf Entzug gekommen, wenn es einen Kanzler mit Profil gegeben hätte. Insofern gehe ich davon aus, dass Scholz das Erbe Merkels gütlich verwalten wird.

Belarus wurde immer aufmüpfiger und ließ einen systemkritischen Blogger in einer Ryan-Air-Maschine abfangen. Mittlerweile setzt Lukaschenko die EU unter Druck, indem er Flüchtlinge über Polen über die Grenze schickt. Welche Lösungsansätze hätten Sie, um Lukaschenko in Schach zu halten?
Ich würde aufhören so zu tun, als würde die Bundesregierung nicht mit diktatorischen Regimen gemeinsame Sachen machen. Sie verkauft Waffen an Saudi-Arabien und unterstützt Länder in Krisenregionen und dann spielt sie sich zur Friedenspolizei auf. Es war zu erwarten, dass Lukaschenko sich das nicht bieten lässt. Ähnliches hat man schon in der Ukraine erlebt. Die EU maßt sich viel zu oft an, Fürsprecher zu sein und bedient dabei nur ihre eigenen geopolitischen Interessen auf dem Rücken von Minderheiten, die sie nachher im Stich lässt, wenn es um Begrenzung von Zuwanderung geht. Es wäre jetzt an der Zeit eine diplomatische Politik einzuschlagen, statt eine Stärke zu demonstrieren, die man nicht hat. In dem man weiter auch Putin gegen sich aufbringt, wird man jedenfalls nicht zu Stabilisierung in der Region beitragen.

Es wäre jetzt an der Zeit eine diplomatische Politik einzuschlagen, statt eine Stärke zu demonstrieren, die man nicht hat.
Serdar Somuncu über die Politik der EU

In Rotterdam wurde mehr oder weniger europaweit das vorläufige Ende der Corona-Pandemie gefeiert. Der «Eurovision Song Contest» war bunter denn je, mit Måneskin gewann eine italienische Rockband, die seitdem die Musikwelt erobert. Was macht den Erfolg dieser Band aus und warum schmiert Deutschland immer wieder ab?
Abgesehen davon, dass es sich jetzt erweist, dass die trügerische Sicherheit, in der wir uns im Frühjahr wähnten, uns in eine weitere Phase der Pandemie geführt hat, die noch schlimmer ist als die vorherigen, war der «Eurovision Song Contest» nichts anderes als das Zelebrieren einer vergangenen Zeit. Das war ja in diesem Jahr sowieso Mode. «Wetten, dass…?» oder ABBA. Die Menschen scheinen sich in eine Idylle zurück zu sehnen, die es seit Corona nicht mehr gibt. Und das beflügelt das Geschäft der Ewiggestrigen. Für mich ist diese Form von Unterhaltung langweilig, denn sie bedient weder qualitativ hochwertige Interessen, noch lenkt sie mich ab. Sie stört eher. Und dass eine italienische Band, die Hardrock spielt, gewinnt ist nur ein Eingeständnis an die Quote. Nächstes Jahr wird es wieder eine Drag Queen werden.

Der Sommer wurde von der Hochwasser-Katastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz erschüttert, woraufhin die Stimmen nach Umweltschutz, um den Klimawandel einzudämmen, laut wurden. Beispielsweise ein Tempolimit hat es dennoch nicht in den neuen Koalitionsvertrag geschafft. Warum tut sich Deutschland mit dem Klimawandel so schwer?
Da ich selbst unmittelbar vom Hochwasser betroffen war, kann ich die Sorgen und Nöte der Menschen sehr gut verstehen, die dadurch ihr Hab und Gut verloren haben. Für die Politik war es aber leider nur ein gefundener Anlass für ihren Wahlkampf. Das haben die Menschen schnell gemerkt, denn die bewilligten Hilfen blieben lange Zeit aus. Wir reden viel zu oft über oberflächliche Dinge und vernachlässigen dabei das Wesentliche. Im Klimaschutz geht es vor allem darum, dass jeder seinen Beitrag dazu leistet. Das kann sehr unterschiedlich sein. Solange wir aber mit unseren eigenen Widersprüchen leben und es damit belassen, den anderen Vorwürfe zu machen oder die Verantwortung sogar auf die Politik übertragen, werden wir nicht weiterkommen. Für eine wirksame Veränderung unserer Klimapolitik braucht es einen Wandel in unserem Denken und das bedeutet vor allem, dass wir auf die Privilegien, die wir im Moment für selbstverständlich haben, dauerhaft verzichten müssen. Ich glaube nicht, dass die Menschen dazu bereit sind. Denn oft argumentieren sie aus einer sehr wohlhabenden Sicht.

Auf der nächsten Seite spricht Serdar Somuncu über die Sonderrolle des Fußballs sowie seine Tops und Flops des Jahres.


Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Sozialen Medien kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!