#Himmelfahrt mit Meeresrauschen
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„Himmelfahrt mit Meeresrauschen“
Schwindelerregend wirkt das Kunstwerk mit jedem weiteren Schritt in die Höhe, zu dem es einen verlockt: Bis auf dreißig Meter unter freiem Himmel führt Héctor Zamoras begehbare Skulptur „Strangler“ die Besucher der diesjährigen Brügge-Triennale hinauf. Gleich einem knallroten Baugerüst aus Stahl schmiegt sich der Gitterkubus in das Geäst einer Schwarzkiefer im grünen Gürtel der Stadt. Auf den unteren Ebenen der Konstruktion kann man sich noch beruhigend vom Baum umarmt wähnen. Aber die Treppen führen über die Krone hinaus, bis die abschließende Plattform – mit staunenswert niedriger Brüstung – den Panoramablick aus Vogelperspektive auf die historische Altstadt erlaubt. Wen hier die Angstlust beflügelt, für den wird das Motto der Freiluft-Skulpturenschau Emotion.
„TraumA“ mit sperriger Großschreibung am Wortende, die dritte Ausgabe der Brügge Triennale für zeitgenössische Skulptur im öffentlichen Raum, möchte zu einem Stadtspaziergang auf der Grenzlinie zwischen „Traum und Albtraum, Paradies und Hölle“ einladen. Dreizehn Künstler sind mit ihren Interventionen dabei, in Kirchen, auf Plätzen und an Grachten. Behutsam kratzen sie an der Bilderbuchfassade der Weltkulturerbestadt, in die in diesem zweiten Corona-Sommer allmählich die Touristen zurückkehren – maskiert und auf der Hut.
Naturnah: Els Dietvorsts aus Treibholz konstruierte und in Bronze gegossene Baumskulptur „Windswept“ verbeugt sich bei Ostduinkerke an der belgischen Küste vor dem Seewind.
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Bild: Westtoer / Beaufort21
Die Schau in pandemisch immer noch unwägbaren Zeiten ins Werk zu setzen sei ein organisatorischer Parforceritt gewesen und ein Wagnis, gesteht Till-Holger Borchert, der als Direktor der städtischen Museen von Brügge auch einer der Kuratoren der Triennale ist. Nun soll sie „ein Lebenszeichen“ senden: Die Gegenwartskunst in Flandern ist zurück auf der Straße. Aerosoltechnisch gesehen ist das ohnehin der sicherste Ort für eine Ausstellung.
Durchs Dunkel ans Licht
Selbsterfahrungstrip, Attraktionenparcours und Stationen der Andacht: „TraumA“ bietet, durchaus touristisch gefällig, Kunstgenuss, für den es keiner Vorkenntnisse bedarf. Informationen liefern knappe Texte auf Tafeln am jeweiligen Ausstellungsort. „Niederschwellig“ heißt das hässliche deutsche Wort für solcherlei; in der flämischen Kunstvermittlung ist die Haltung ohne Ressentiment Programm. Man muss nicht Hieronymus Bosch kennen und den „Aufstieg der Seelen“ durch den Tunnel der Nahtoderfahrung, um sich im Stockdunkel des Irrgangs „Black Lightning“ Richtung Licht zu tasten.
Der von letzten Dingen so faszinierte Gregor Schneider hat seine Installation in die Kirche des Priesterseminars gesetzt – das umgebende Langhaus wird zum toten Raum, ein architektonisches Konzept, das Schneider schon 2001 mit seinem „Totes Haus u r“ im deutschen Pavillon der Venedig-Biennale erforschte (wofür er den Goldenen Löwen gewann). Auch ohne dieses Wissen bleibt das mit Textil gebahnte Zickzack durchs Schwarz eine immersive (und coronakonforme) Vereinzelungserfahrung, die lustvoll das physische Erlebnis ausreizt. Ist das Gaudi, Grusel, Meditation? Das hängt vom Temperament ab.
Baumhaus der anderen Art: Héctor Zamoras begehbares Gitterwerk „Strangler“ umkleidet eine Kiefer und führt Besucher am Rand der historischen Altstadt Brügges auf schwindelerregende Höhen.
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Bild: Stad Brugge / Matthias Desmet
Schaurig schön wirkt auch die aus blattlosen Astschlingen konstruierte Scheinvegetation, die der Brasilianer Henrique Oliveira über einen Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung gelegt hat. Der vermeintliche Triumph der Natur über die Kultur ist ein ornamentaler Fake aus Recyclingmaterial, wie ihn Oliveira ähnlich schon im Pariser Palais de Tokyo installierte. In Brügge könnte die Illusion einer vertrockneten Monsterranke auf selbst hinter dicken Mauern schwer zu Verbergendes verweisen – flämische Katholiken mögen an die Missbrauchsfälle im Bistum denken. „Banisteria Caapi (Desnatureza 4)“ weckt aber auch ökologische Assoziationen an die unbeherrschbare Natur ebenso wie an ihre Zerstörung – und gibt gleichwohl für Besucher ein exzellentes Selfie-Motiv ab.
Pandemische Andacht: Laura Splan inszeniert virale Strukturen nach Art von Klöppelspitze in ihrem Video-Triptychon „Disentanglement“.
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Bild: Stad Brugge / Matthias Desmet
Anbetungswürdig gestaltet derweil Laura Splan gefährliche Keime: Schon vor der Covid-Krise beschäftigte sich die amerikanische Künstlerin mit mikrobiologischen Strukturen. Im ehemaligen Pest-Hospital, dem Museum Onze-Lieve-Vrouw ter Potterie, entfalten sich auf einer Videoinstallation in Form eines Triptychons digital immer neue virusartige Formen, Weiß auf Schwarz wie geklöppelte Spitze. Der Bezug zu lokaler Handwerkskunst ist hier denkbar aktuell gestaltet. In Gestalt monumentaler Verhüllungen von Gebäuden berufen sich auch Amanda Browder (mit plakativ drapierten Patchwork-Drucken) und Nnenna Okore (mit einer verfremdenden Turmhülle) auf das Textilgewerbe.
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