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#Für diesen Rohstoff wird gemordet

Für diesen Rohstoff wird gemordet

Spätestens als vor einigen Jahren die vermeintlich kuriose Nachricht, dass Saudi-Arabien und Dubai Sand aus Australien importieren, die Medienrunde machte, war das Thema in einer breiten Öffentlichkeit angekommen: Sand ist nicht gleich Sand. Vielmehr ist Wüstensand für die Herstellung von Beton ungeeignet, denn die Körner sind vom Wind zu rund geschliffen. Weil nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in China ganze Städte neu gebaut werden, ist Bausand zur knappen Ressource geworden, deren Preis immer weiter steigt.

Auch für die Herstellung von Zahnpasta und Papier werden jeweils spezielle Sande benötigt. Um die Risse offen zu halten, die beim Fracking, also der Gewinnung von Öl und Gas aus Schiefergestein, entstehen, braucht es Sand. Wenn Beachvolleyballer bei Olympia an­treten und der türkische Staatspräsident für seinen Sommersitz an der Ägäis einen Strand anlegen lässt, dann ist nur der weichste und hellste Sand gut genug. Er wird von weit her angekarrt.

Fatale ökologische Folgen

Der amerikanische Journalist Vince Beiser ist der Entwicklung des Massenmaterials Sand zum knapp werdenden Grundstoff unserer Zivilisation nachgegangen. Er musste dafür nicht weit in die Geschichte zurückgehen. Beton ist, nachdem ihn die Römer erfunden hatten, erst im zwanzigsten Jahrhundert zum vorherrschenden Baumaterial geworden, mit dramatisch steigender Tendenz – China soll allein von 2011 bis 2013 mehr Beton verbaut haben als die USA zwischen 1900 und 2000.

Vince Beiser: „Sand“. Wie uns eine wertvolle Ressource durch die Finger rinnt.


Vince Beiser: „Sand“. Wie uns eine wertvolle Ressource durch die Finger rinnt.
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Bild: Oekom Verlag

Auch die Massenproduktion von Glas und erst recht die von Computerchips, für die besonders feine Quarzsande benötigt werden, sind jüngere Entwicklungen. Und selbst die hohe Wertschätzung von Sandstränden datiert auf das neunzehnte Jahrhundert, als sie in England als Orte der Erholung entdeckt wurden. Von den dortigen Seebädern aus verbreitete sich die Idee im zwanzigsten Jahrhundert über die ganze Welt.

7500 Billiarden Sandkörner

Wo das touristische Erscheinungsbild den eigenen Ansprüchen nicht genügte, schwang sich der Mensch zum Landschaftsgestalter auf. Waikiki Beach auf Hawaii etwa wurde vor hundert Jahren mit Sand anderer Strände aufgeschüttet, teilweise wurde dieser aus Kalifornien herangeschafft. Miami Beach entstand auf einer morastartigen Wildnis, die im Auftrag von Immobilienunternehmern mit Sand und Schlamm aus dem Meer aufgefüllt wurde, bis der Untergrund stabil genug für eine dichte Bebauung war. Die künstlichen Inseln, die heute vor Dubai aufgeschüttet und mit Luxus­immobilien bebaut werden, sind nur die Extremvariante dieses Vorgehens.

Die ökologischen Folgen des Sandabbaus an Land, in Flüssen, Seen und Meeren sind in vielen Fällen fatal. Beiser schildert eindrücklich, wie Fischer in China, Hoteliers in Jamaika und Farmer im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten ihre Lebensgrundlagen zunehmend schwinden sehen. In Indien schrecken mafiaähnlich organisierte Banden, die Sandvorkommen illegal ausbeuten, nicht vor Mord zurück.

Wüstensand zur Betonherstellung?

In der bewährten, aber auch ein we­­nig ab­genutzten Manier amerikanischer Sach­buchautoren verwendet Beiser Zahlen und Vergleiche, die die Dimension des Problems für den Laien greifbar ma­chen sollen. Doch was ist gewonnen, wenn man weiß, dass sich mit der 2016 in China verbrauchten Menge an Bausand (7,8 Milliarden Tonnen) der Bundesstaat New York mit einer zwei Zentimeter dicken Schicht bedeckt werden könnte? Und sind die 7500 Billiarden Sandkörner, aus denen sich die Strände der Welt nach den Berechnungen eines amerikanischen Forschers zusammensetzen, nun viel oder wenig? Ein wenig bedauerlich ist auch, dass Beiser die Recherchen für sein Buch 2017 abgeschlossen hat. Der deutschen Ausgabe haftet deshalb vor allem dort, wo es reportagenhafte Züge trägt, schon bei Erscheinen etwas leicht Antiquarisches an.

Aber für eine erste eingängige Orientierung im Thema reicht es allemal. Und für die unangenehme Erkenntnis, dass die Menschheit auch mit Blick auf den Rohstoff Sand weit über ihre Verhältnisse lebt. Beiser versucht Ansätze aufzu­zei­gen, wie der Raubbau eingedämmt werden könnte. Überall auf der Welt werden mögliche Ersatzstoffe erprobt. Zu­dem gibt es Versuche, den wohl tatsächlich un­erschöpflichen Wüstensand doch zur Betonherstellung zu nutzen.

Man kann nur hoffen, dass die Forscher Erfolg haben. Beton ist ein Material, das schnell altert und sich kaum re­cyceln lässt. Nimmt man optimistischerweise eine Lebensdauer von zweihundert Jahren für Betonbauwerke an, dann werden sich schon in wenigen Generationen elementare Fragen stellen. Für den abermaligen Bau unserer Städte reichen die Ressourcen jedenfalls nicht aus.

Vince Beiser: „Sand“. Wie uns eine wertvolle Ressource durch die Finger rinnt. Aus dem Englischen von Bernhard Jendricke, Christa Prummer-Lehmair, Gerlinde Schermer-Rauwolf. Oekom-Verlag, München 2021. 320 S., geb., 26,– €.

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