Nachrichten

#Auf der Suche nach einer Unbekannten

„Auf der Suche nach einer Unbekannten“

Was passiert, wenn man für eine Biographie recherchiert und dabei eine Person entdeckt, die viel interessanter erscheint als das ursprüngliche Objekt der Recherche? Justine Picardie, ehemalige Chefredakteurin des britischen Modemagazins „Harper’s Bazaar“, erzählt in ihrem Buch, wie sie über den französischen Designer Christian Dior schreiben wollte, dann aber über die Geschichte seiner jüngeren Schwester Catherine stolperte. Von ihr war sie so fasziniert, dass am Ende ein Buch über das Leben dieser Frau entstand: vom behüteten Aufwachsen in der Villa am Meer über die Jugend in Paris bis hin zum Kampf gegen die Faschisten in der Résistance und dem Aufenthalt im Konzentrationslager.

Im Gegensatz zum Leben ihres Bruders gibt es bei Catherine nur wenige verlässliche Quellen. Die Suche nach der praktisch Unbekannten beginnt also bei den geschwisterlichen Gemeinsamkeiten: Beide liebten Blumen und widmeten sich der Rosenzucht. Er hatte sein erstes Parfum rund um diese Blüte komponieren lassen und es unter dem Namen „Miss Dior“ der Schwester gewidmet. Die Rosen werden zu einem Leitmotiv bei Picardies Recherche, die in ebenjenem Garten, der noch die Handschrift der Geschwister trägt, beginnt: „Der Rosenduft schien mir die Frage zuzuraunen: War es möglich, dass so viel Schönheit aus der Asche des Zweiten Weltkriegs gewachsen war?“

Fotografie der zwanzigjährigen Catherine Dior aus der Zeit, als sie bei ihrem Bruder Christian in Paris lebte.


Fotografie der zwanzigjährigen Catherine Dior aus der Zeit, als sie bei ihrem Bruder Christian in Paris lebte.
:


Bild: Collection Christian Dior Parfum

Diese Frage wird Picardie begleiten, etwa angesichts eines Kleids im Dior-Archiv, das den Ruhm des Designers mit dem sogenannten „New Look“ Ende der Vierzigerjahre begründete. Die stark taillierte Sanduhr-Silhouette der Dior-Kleider mit weit schwingenden Röcken und verstärkten Korsettoberteilen kündete in einer Stadt mit Essensrationierung vom Luxus vergangener Tage und katapultierte Paris nach dem Krieg zurück auf die Bühne der internationalen Modewelt.

Haute Couture und die Gräuel des Krieges

Picardie kontrastiert den Blick auf die Haute Couture mit den Gräueln des Kriegs. Sie schreibt über die Folter, die Faschisten an Gefangenen der Résistance in Paris verübten, und zitiert aus Berichten der Überlebenden vom Alltag in den Konzentrationslagern, nur um im nächsten Kapitel ins Paris der Nachkriegszeit zu wechseln, wo die ersten Modenschauen stattfinden. So fragt Picardie implizit, wie das eine und das andere nebeneinander existieren konnten und ob Schönheit und Kultur ein Antidot gegen Zerstörung und Hass sein können.

Justine Picardie: Miss Dior. Eine Geschichte von Courage und Couture. Aus dem Englischen von Helmut Ettinger. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 400 S., Abb., geb., 26,– €.


Justine Picardie: Miss Dior. Eine Geschichte von Courage und Couture. Aus dem Englischen von Helmut Ettinger. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 400 S., Abb., geb., 26,– €.
:


Bild: dpa

Da die Arbeit an einer Biographie häufig eine Konfrontation mit der eigenen ist, führt die Reise nach Ravensbrück die Autorin auch in die Vergangenheit ihrer Familie. Das Lager war während ihrer Kindheit stets gegenwärtig: „Denn mein Vater, 1936 in einer jüdischen Familie geboren, erwähnte es oft in seinen wütenden, beklemmenden Monologen über den Holocaust und die anhaltende Drohung des Antisemitismus.“ Wie in vielen jüdischen Familien, die den Krieg überlebten, gaben die Eltern das Trauma an die Kinder weiter. Picardie berichtet von Albträumen und dem zerrütteten Verhältnis zum Vater. Und sie berichtet von der Liebe zu ihrer Schwester, die zu früh verstarb.

Die Geister ihrer Familie begleiten sie, während sie dem Geist Catherines in den zu Gedenkstätten umgestalteten Konzen­trationslagern nachspürt. Die Geistermetapher wird sie immer wieder gebrauchen . Was nach Esoterik klingt, kann auch als Stilmittel betrachtet werden, denn Catherine bleibt über weite Strecken wirklich eine Art Geist. Ihre Person setzt sich oft aus den Bruchstücken anderer referierter Biographien zusammen. So entsteht ein Gesamtbild , das weniger die Beschreibung eines Einzelschicksals ist als vielmehr eine Collage von Erinnerung an etliche Frauen der gleichen Generation.

Justine Picardie: Miss Dior. Eine Geschichte von Courage und Couture. Aus dem Englischen von Helmut Ettinger. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 400 S., Abb., geb., 26,– €.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!