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#Fußball stürzt eine ganze Nation ins Elend

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Fußball stürzt eine ganze Nation ins Elend

Heute Abend spielt im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft Deutschland gegen Frankreich. Die Chance, dass daraus ein Match für die Geschichtsbücher wird, ist gering. Es handelt sich ja nicht um ein Ausscheidungs-, sondern um ein Gruppenspiel – verlieren bedeutet also zunächst noch gar nichts. Und dann sind aus deutscher Sicht die Titulierungen eines Jahrhundertspiels schon fest vergeben: fürs 21. Jahrhundert an den 7:1-Triumph über Brasilien im WM-Halbfinale 2014, fürs zwanzigste an die 3:4-Niederlage von 1970, auch in einem WM-Halbfinale, gegen Italien.

Die Franzosen haben dagegen noch einen Platz fürs aktuelle Jahrhundertspiel frei. Wobei auch für sie die Halbfinals bei Weltmeisterschaften die heißesten Kandidaten sind. Ein solches war auch deren „Match du siècle“ des zwanzigsten Jahrhunderts. Das für sie auch einfach nur auf den Namen des damaligen Schauplatzes hört: „Séville“. Dort, im spanischen Sevilla, verlor 1982 Frankreich gegen Deutschland.

Was die wahre Dramatik ausgemacht hat

Aber es ist weniger die Dramatik eines nach neunzig Minuten beim Stande von 1:1 in die Verlängerung gegangenen und nach zwischenzeitlicher 3:1-Führung der Franzosen mit 3:3 abgepfiffenen Spiels, das Deutschland dann im Elfmeterschießen mit 5:4 für sich entschied, die diese Partie berühmt machte, sondern der Zusammenprall des deutschen Torwarts Harald „Toni“ Schumacher mit dem allein auf ihn zustürmenden Patrick Battiston in der 57. Minute.

Der berühmteste Zusammenprall der deutsch-französischen Fußballgeschichte: Toni Schumacher springt in Patrick Battiston hinein.


Der berühmteste Zusammenprall der deutsch-französischen Fußballgeschichte: Toni Schumacher springt in Patrick Battiston hinein.
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Bild: dpa

Für die Franzosen war das ein klares Foul des deutschen Keepers im Strafraum, der Schiedsrichter aber pfiff keinen Elfmeter, nachdem Battistons Schuss am Tod vorbeigegangen war. Der französische Spieler verlor das Bewusstsein und musste mit angebrochenem Halswirbel und zwei ausgeschlagenen Zähnen ausgewechselt werden. Berüchtigt wurde Schumachers Bemerkung nach dem Spiel: „Wenn es nur die Jacketkronen sind, die bezahle ich ihm gerne.“

Das ist nicht der Stoff, aus dem die Träume sind, aber einer, aus dem Legenden gewebt werden. Und Verschwörungstheorien – etwa rund um den niederländischen Schiedsrichter Charles Corver. Und rund ums Schicksal, denn Frankreich schien danach bei Weltmeisterschaften wie verflucht: 1986 wieder gegen die Deutschen im Halbfinale ausgeschieden, 1990 und 1994 jeweils gar nicht erst für die Endrunde qualifiziert. Im eigenen Land wurde man dann 1998 Weltmeister. Aber das zählte nicht recht für Didier.

Derselbe Moment im Comic: Jérôme Jouvray wechselt als Zeichner immer wieder die Perspektiven auf den Zusammenprall.


Derselbe Moment im Comic: Jérôme Jouvray wechselt als Zeichner immer wieder die Perspektiven auf den Zusammenprall.
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Bild: Glénat

Der ist der Held eines gerade rechtzeitig zur heutigen Partie in Frankreich erschienenen Comics namens „Die Gespenster von Sevilla“ (Les Fantômes de Séville; geschrieben von Didier Tronchet und gezeichnet von Jérôme Jouvray, verlegt bei Glénat). Schon das Titelbild zeigt die ikonische Szene des mit der Hüfte voran in den angreifenden Verteidiger Battiston hineinspringenden Schumachers, doch die titelgebenden Gespenster beziehen sich gar nicht auf diese Aktion, obwohl keine andere Situation des Spiels so oft im Laufe des Comics wiederkehrt. Didier – wohl nicht zufällig mit demselben Vornamen versehen wie sein Szenarist Tronchet – ist ein Hobbykicker, der mit fanatischem Ehrgeiz sowohl seine Teamkollegen als auch den selbst fußballspielenden Sohn nervt.

Als Didier sich nach einem enttäuschenden Spiel des kleinen Antoine schlaflos im Bett wälzt, ruft er auf Youtube noch einmal das Halbfinale von 1982 auf, an das er sich als schlimmstes Erlebnis seiner Fußball-Leidenschaft erinnert. Und plötzlich sieht er sieben Minuten vor dem Zusammenprall Battistons mit dem „monstre moustachu“ (schnurrbärtigen Monster) Schumacher ein Detail, über das er sich bislang nie Gedanken gemacht hatte, dessen Erklärung ihn aber fortan umtreiben wird: mehr als 120 Seiten lang.

Da war noch alles friedlich: Die beiden Mannschaft vor dem WM-Halbfinale am 8. Juli 1982. Zweiter von links in der deutschen Mannschaft: Toni Schumacher.


Da war noch alles friedlich: Die beiden Mannschaft vor dem WM-Halbfinale am 8. Juli 1982. Zweiter von links in der deutschen Mannschaft: Toni Schumacher.
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Bild: AFP

Didier begibt sich dafür in Begleitung seines Bolzkameraden Frédéric, der als Redakteur der französischen Sportzeitung „L’Equipe“ über beste Kontakte zur Welt des Fußballs verfügt, auf die Spur der wichtigsten damaligen Akteure quer durch Europa: Sie besuchen Schiedsrichter Corver, den seinerzeitigen französischen Nationaltrainer Michel Hidalgo und die Spielmacherlegende Michel Platini. Außerdem natürlich Patrick Battiston und als dramaturgischen Höhepunkt des ganzen Geschehens Toni Schumacher in dessen Heimatstadt Köln. Diese Begegnung lässt Didier in Angstvorstellungen verfallen, in denen der taure teuton, der „teutonische Stier“, seine französischen Gäste mit demselben Furor niedermacht wie 1982 im Halbfinale Battiston. Schumacher aber erweist sich als soignierter bartloser Mittsechziger, der einfach nur rät, sich doch nicht immer weiter mit diesem Match zu beschäftigen. Er ist ein Philosoph, kein Monster.

„Les Fantômes de Séville“ erzählt eine private Traumatisierungsgeschichte, die Didier aufs ganze Land übertragen sehen will. Die Recherchen versanden, aber er trifft seine Helden (und seine Nemesis) und muss sich dabei der Desillusionierung seiner Vorstellungen stellen. Das Album endet mit dem Weltmeisterschaftsfinale von 2018, das Frankreich gegen Kroatien mit 4:2 gewann, aber auch das ist falsch in Didiers Augen, denn plötzlich erscheinen ihm die spielerisch besseren Kroaten als tragische Helden, deren Rolle doch seit Sevilla für Frankreich reserviert war. Aber er findet sich doch noch ins kollektive nationale Glück, nachdem er die Quelle seines Unglücks nicht hat aufspüren können.

Aus dem Adler des DFB-Trikots wird ein Raubvogel, gegen den der gallische Hahn der Franzosen zum Spatz regrediert.


Aus dem Adler des DFB-Trikots wird ein Raubvogel, gegen den der gallische Hahn der Franzosen zum Spatz regrediert.
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Bild: Glénat

Was Didier in der 50. Spielminute von Sevilla beobachtet hat? Das muss man selbst lesen. Aber nicht gleich heute Abend. Da können wir wieder einmal darauf warten, ob Geschichte gemacht wird. Dazu gehörte jedoch, dass auch noch in ein paar Jahrzehnten Geschichten daraus gemacht werden.

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