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#Gammastrahlenausbruch passt nicht ins Schema

„Gammastrahlenausbruch passt nicht ins Schema

Gammastrahlenausbrüche gehören zu den energiereichsten Phänomenen im Kosmos, doch ihre Ursachen sind erst in Teilen geklärt. Jetzt berichten Astronomen von einem dieser Ausbrüche, der sich den gängigen Modellen entzieht: Das am 11. Dezember 2021 detektierte Ereignis und sein Nachglühen zeigten zwar ähnliche Merkmale wie die kurzen, von Neutronensternkollisionen verursachten Gammastrahlenausbrüche, waren aber mit einer Dauer von fast einer Minute für ein solches Szenario zu lang. Das Fehlen typischer Supernova-Signaturen im Lichtspektrum und die Lage am Außenrand einer Galaxie passen wiederum nicht zu einem typischen, von einem Sternkollaps ausgelösten langen Gammastrahlenausbruch.

Gammastrahlenausbrüche (GRB) können innerhalb weniger Sekunden so viel Energie in Form von Strahlung freisetzen wie unsere Sonne in ihrer gesamten Lebenszeit. Sie sind daher selbst über Milliarden Lichtjahre hinweg detektierbar, einige dieser Ausbrüche waren in früheren Zeiten sogar mit bloßem Auge am Himmel zu sehen. Meist sind im Erdorbit kreisende Gammastrahlen-Observatorien die ersten, die das kurze Aufblitzen im kurzwelligen Gammastrahlenbereich detektieren. Das Nachglühen dieser Ausbrüche wird dann sukzessive langwelliger und energieärmer und reicht vom Röntgen- und UV-Bereich über das sichtbare und Infrarotlicht bis zu Radiowellen. Je nach ihrer Länge unterteilen Astronomen Gammastrahlenausbrüche bisher in zwei Klassen mit vermutlich grundlegend verschiedenen Ursachen. Lange Gammastrahlenausbrühe halten länger als zehn Sekunden an und gehen wahrscheinlich auf den Kollaps eines massereichen Sterns in einer Supernova zurück. Kurze Gammastrahlenausbrüche dauern dagegen weniger als zwei Sekunden und gelten als Folge der Verschmelzung zweier Neutronensterne. Eine solche Kilonova wurde 2017 erstmals sowohl mit Teleskopen als auch über die von ihr freigesetzten Gravitationswellen detektiert.

Ein langer Gammastrahlenausbruch…

Am 11. Dezember 2021 um 14:59 Uhr unserer Zeit fingen gleich mehrere Gammastrahlenobservatorien, darunter das Fermi- und das Swift-Weltraumteleskop der NASA, einen weiteren Gammastrahlenausbruch ein. Die intensive Gammastrahlung dieses GRB 211211A getauften Ereignisses hielt 55 Sekunden lang an – auf den ersten Blick handelte es sich damit klar um einen Vertreter der langen Gammastrahlenausbrüche. Innerhalb von Minuten visierten auch Teleskope im Röntgen-, UV- und sichtbaren Strahlenbereich die Quelle dieses Gammastrahlen-Pulses an. Wenig später richteten Astronomen auch Infrarot- und Radioteleskope auf den Ausbruchsort. Diese Beobachtungen zeigten, dass die Quelle dieser Strahlung in einer rund eine Milliarde Lichtjahre entfernten Galaxie lag. „Damit ist GRB 211211A einer der nächstgelegenen langen Gammastrahlenausbrüche, die je beobachtet worden sind“, berichten Eleonora Troja von der Universität und ihre Kollegen.

Doch als vier verschiedene Astronomenteams damit begannen, die Lichtkurven der Gammastrahlung und des längerwelligen Nachglühens dieses Ereignisses auszuwerten, zeigte sich Überraschendes: Trotz der Länge dieses Gammastrahlenausbruchs passte GRB 211211A in gleich mehreren Merkmalen nicht zum Profil dieser Ausbruchsklasse. „Dieses Ereignis ist anders als jeder andere zuvor gesehene lange Gammastrahlenausbruch“, erklärt Jillian Rastinejad von der Northwestern University in den USA. „Wir hatten allen Grund zu der Annahme, dass dieser 55-Sekunden lange Gammastrahlenausbruch durch den Kollaps eines massereichen Sterns verursachte wurde. Denn die Gammastrahlung entsprach diesem Szenario.“ Doch weder das Nachglühen noch der Entstehungsort dieses Ereignisses passten zu einem klassischen langen Gammastrahlenausbruch, wie die Forschungsteams feststellten.

…mit „kurzen“ Eigenschaften

Stattdessen zeigte dieser lange Gammastrahlenausbruch bemerkenswerte Parallelen zur zweiten Klasse dieser Ereignisse: Ähnlich wie die typischen kurzen Gammastrahlenausbrüche lag der Ursprungsort der Strahlung nicht in dem dicht mit Sternen bevölkerten und von aktiver Sternbildung geprägten Zentrum der Galaxie, sondern an ihrem Außenrand – dort, wo die meisten massereichen Sterne längst zu Neutronensternen und Schwarzen Löchern geworden sind. Zudem konnten optische Aufnahmen dieser Region keine Spur einer Supernova oder eines massereichen Vorgängersterns in diesem Gebiet finden, wie die Astronomen berichten. „Der Ursprungsort des GRB und die Eigenschaften seiner Wirtsgalaxie liefern damit indirekte Belege dafür, dass dieses Ereignis auf einen anderen Urheber zurückgehen muss als einen kollabierenden massereichen Stern“, konstatieren Troja und ihre Kollegen. Hinzu kommt: Im Nachglühen des Ausbruchs wiesen die Forschungsteams einen auffälligen Überschuss an Nahinfrarotstrahlung im Verhältnis zum sichtbaren Licht nach. Dies jedoch gilt als typisch für eine Kilonova – eine Explosion durch die Kollision von zwei Neutronensternen. Denn dabei absorbieren die von der Kilonova freigesetzten schweren Elemente Teile des sichtbaren Lichts und erzeugen so das Ungleichgewicht.

GRB 211211A ist damit eine ungewöhnliche Mischform: Der Ausbruch zeigt viele Merkmale eines kurzen Gammastrahlenausbruchs, ist aber gleichzeitig eigentlich zu lang, um von zwei kollidierenden Neutronensternen zu stammen. Denn diese besitzen gängiger Annahme nach zu wenig Masse und Material, um länger andauernde Ausbrüche zu erzeugen. Das wirft die Frage auf, was die Ursache dieses hybriden Gammastrahlenausbruchs war. In dieser Frage sind sich die Astronomen nicht ganz einig. Die Teams um Troja und Rastinejad kommen unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass es sich bei GRB 211211A trotzdem um eine Kilonova gehandelt haben muss – die Verschmelzung von zwei Neutronensternen oder einem Neutronenstern mit einem Schwarzen Loch. Dabei könnte ein besonders starker Jet aus stark beschleunigten Teilchen entstanden sein, der die länger anhaltende Strahlung erklärt.

Das Team um Bin-Bin Zhang von der Nanjing Universität in China vermutet als Ursache dagegen die Kollision eines stark magnetisierten Neutronensterns mit einem Weißen Zwerg. Bei einer solchen Verschmelzung würde der leichtere Weiße Zwerg zerrissen und es entstünde eine große Akkretionsscheibe aus schnell rotierendem Plasma. Dieses Material kombiniert mit den starken Magnetfeldern des Proto-Magnetars könnte erklären, warum die Gammastrahlung so ungewöhnlich lang anhielt, so die Astronomen. Die Beteiligung eines solchen Proto-Magnetars halten auch andere Forscher für möglich. Doch bisher lässt sich keine dieser Hypothesen eindeutig bestätigen oder widerlegen – auch weil ein entscheidendes Instrument fehlte: Keiner der irdischen Gravitationswellendetektoren war zum Zeitpunkt dieses Gammastrahlenausbruchs aktiv. Wenn GRB 211211A aber tatsächlich auf die Verschmelzung zweier Neutronensterne oder ähnlich kompakter Objekte zurückging, hätte dies Gravitationswellen freisetzen müssen, die diese Observatorien wegen der vergleichsweise geringen Entfernung des Ereignisses in jedem Falle hätten detektieren müssen. Den Astronomen bleibt nun nur die Hoffnung, dass LIGO, Virgo und Co beim nächsten Rätselausbruch dieser Art parat stehen.

Quelle: Nature, Eleonora Troja (University of Rome) et al., doi: 10.1038/s41586-022-05327-3; Jillian Rastinejad (Northwestern University, Evanston) et al., doi: 10.1038/s41586-022-05390-w; Bin-Bin Zhang (Nanjing University, China) et al., doi: 10.1038/s41586-022-05403-8; Benjamin Gompertz (University of Birmingham, UK) et al., doi: 10.1038/s41550-022-01819-4

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