#Geborgenheit ist teuer geworden
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„Geborgenheit ist teuer geworden“
Der Mietendeckel ist gekippt, und so können schwer gebeutelte, schwedische Wohnungsunternehmen, die in Berlin seit Jahren Reibach mit luxussanierten Wohnungen machen, zumindest wieder fröhlich ihre Briefe verschicken, in denen die Mieter freundlich darüber informiert werden, dass „die zwischen dem Vermieter und Ihnen zuletzt vereinbarte Miete zu zahlen“ ist – auch rückwirkend. Das liest sich auch schön: „Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sind diese an den Vermieter gerichteten Verbote [durch den Mietendeckel], die oben genannten Teilbeträge von der jeweiligen Mietpartei zu fordern und / oder entgegenzunehmen, rückwirkend weggefallen.“ Immerhin hatte man zur „Ansparung des Differenzbetrages bis zum Abschluss der gerichtlichen Prüfung“ geraten. Nun – Pandemie hin, mögliche Mietschulden her – möchte man, dass der Rückstand binnen vierzehn Tagen beglichen wird.
Das ist natürlich nur die Spitze des Eisbergs; und es sind nicht nur die Schweden, die Profit aus der Wohnungsnot schlagen. Von diesem Kuchen möchten all jene ein Stückchen abhaben, die über genug finanzielle Mittel verfügen, in Häuser zu investieren. Im Berliner „Tatort: Die dritte Haut“ lässt Ceylan Immobilien die Wohnung des Busfahrers Otto Wagner zwangsräumen. Bald sitzt er mit Frau und Kind in einer Notunterkunft. Gülay Ceylan (Özay Fecht), die Matriarchin des Familienunternehmens, das als kleine Hausverwaltung begann, will endlich bei den Großen mitspielen und das Haus in der Georgistraße 37 luxussanieren.
Am nächsten Tag wird Gülays Sohn, Cem Ceylan, nach einem Sturz vom Balkon tot vor dem Haus gefunden. Die Leiche weist Spuren von Gewalt auf, die Sache scheint klar. Doch bevor sich die irgendwie sehr unterdrückt verbandelten Kommissare Robert Karow (Mark Waschke) und Nina Rubin (Meret Becker) richtig mit der Suche nach dem Täter beschäftigen können, lässt sich der Regisseur Norbert ter Hall Zeit, ein großes Panorama der Großstadtmietproblematik aufzuspannen.
Porträt eines Hauses und seiner Bewohner
Das beginnt mit dem Porträt des Hauses in der Georgistraße und seiner Bewohner, das natürlich als fernsehtauglicher Querschnitt durch die Gesellschaft angelegt ist: Da ist Jenny Nowack (stark: Berit Künnecke), die alleinerziehende Mutter; Ilse Kirschner (Friederike Frerichs), die verwitwete Rentnerin; und Dries Vandenbroucke (Tijmen Govaerts), der offiziell mit seinem Blog „Mietrebellen“ gegen die Methoden der Wohnungshaie ankämpft – seine Schäfchen aber längst ins Trockene gebracht hat.
Doch ter Hall und die Drehbuchautorin Katrin Bühlig erweitern das Bild zusammen mit ihrem Kameramann Richard van Oosterhout. Gedreht wurde im Herbst 2020, die Pandemie ist mit Masken und Ellenbogenbegrüßung sichtbar. Genauso wie all jene, die längst schon auf der Straße leben. Ter Hall zeigt die Gesichter von Obdachlosen, blendet ihr Alter und ihre Wünsche ein: Tom, 69, eine Woche Notunterkunft, will wieder nach Hause. Robert, 48, ein Jahr Notunterkunft, will seine Frau zurück.
Dass dieser Versuch glückt und nicht in deutsches Betroffenheitsfernsehen kippt, ist auch den nüchternen Bildern von van Oosterhout zu verdanken. Ihm gelingt mit etlichen, fast schon verspielten Details, und im Schnitt von Gesa Jäger das Kunststück, die vielen Figuren und Schauplätze anspruchsvoll miteinander zu verknüpfen und die Wohnungen des handelnden Personals tatsächlich als die titelgebende „dritte Haut“ zu beleuchten. Plötzlich wird jeder Gegenstand in den abgebildeten Wohnungen mit Bedeutung aufgeladen. Leben bedeutet Wohnen, und hier werden die Kontraste hervorgehoben – zwischen Rauswurf und Eigentum, zwischen eigener Haut und einer, in die man sich nur auf Zeit hüllen darf, bevor sie an den Meistbietenden geht. Die Musik von Max van Dusen und Lukas McNally setzt geradezu mustergültig Akzente, die nichts ertränken, sondern die Bilder im Bewusstsein verankern.
Verpackt in schöne Schnoddrigkeit – nur Karows aufgesetzter Zynismus nervt nicht nur Rubin –, schafft ter Halls Team hier etwas, dessen Umsetzung nur selten wirklich gelingt: die Elemente dieses „Tatorts“, der Blick auf Deutschland, seine Debatten und Scheingefechte, die meist unkommentierte und mitunter fast tragische Dynamik zwischen Karow und Rubin und die Frage, ob sich ein Leben einfach so wegräumen lässt, nur weil man in der komfortablen Position ist, dies zu tun, in ein eindrückliches Gleichgewicht zu bringen.
Der Tatort: Die dritte Haut läuft am Sonntag 20.15 Uhr im Ersten.
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