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#Gedanken, die man trinken kann

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Gedanken, die man trinken kann

Charles Schumann, der Münchner Barbesitzer, Autor bedeutender Bücher über Getränke und das Trinken, Model und Hauptdarsteller unvergessener Werbefilme, hat heute Geburtstag – und wenn seine vielen Fans unter den Literaten, Akademikern, Künstlern und Journalisten aus diesem Anlass etwas Sinnvolles tun wollen: Dann könnten sie sofort damit aufhören zu behaupten, sie gingen „zu Charles“, wann immer sie in München seien. Die Behauptung ist falsch; denn erstens liegt die Bar, von der hier die Rede ist, in Süddeutschland, wo man vor den Vornamen den Artikel setzt; man geht also „zum Charles“, was allerdings nur dann möglich ist, wenn „der Charles“ auch da ist, was er aber häufig nicht ist.

Denn wie jeder ernst zu nehmende Wahl- und Gesinnungsmünchner hält Charles Schumann die schöne kleine Stadt, an deren schönster Ecke seine Bar liegt, am besten dann aus, wenn er sie möglichst oft verlassen kann, um nach Tokio, New York oder nach Südfrankreich zu fahren. Selbst nach Berlin schafft er es manchmal; dann sitzt er im „Grill Royal“ und spottet über die gläsernen Kühlschränke, in denen für alle sichtbar das Fleisch langsam reift, und mehr noch über die Preise.

Helmut Dietl musste bis nach Kalifornien ziehen, damit er das starke Heimweh bekam, das ihn dann dazu trieb, den „Monaco Franze“ zu erfinden. Charles Schumann, so geht die Legende, arbeitete im Süden Frankreichs, als er erkannte, dass er in München eine „American Bar“ eröffnen musste. In Dietls „Ganz normalem Wahnsinn“ sieht man ihn noch, wie er in „Harry’s New York Bar“ die Drinks mixt. Aber das ist die Vorgeschichte; die eigentliche Geschichte beginnt in der Literatur. Sie beginnt mit Luis Buñuels herrlichem Erinnerungsbuch „Mein letzter Seufzer“, in dem der Katholik und Surrealist Buñuel das Trinken eines Martinis geradezu zum Sakrament erklärt und davon träumt, die teuerste Bar der Welt zu eröffnen.

Sie beginnt im ersten Drittel von Raymond Chandlers „Langem Abschied“, wo Philip Marlowe am liebsten schon spätnachmittags eine Bar in Hollywood besucht: „Es war so still in ,Victor’s Bar‘, dass man beim Hereinkommen sogar die Temperatur fallen hörte.“ So einen literarischen Ort stellte Charles Schumann sich vor – und seine Leistung und zugleich ein Wunder ist es, dass der Zauber nicht verschwand nach zwei, drei Jahren, ja dass selbst das Rauchverbot, das die Schleier und Nebel des Fiktionalen hinauslüftete aus der Bar, diesem Zauber nichts anhaben konnte. Wenn man Stammgast ist, kann es passieren, dass man von einem Literaturwissenschaftler einen Anruf bekommt: Er forsche gerade übers literarische Leben im München der Achtziger, und dauernd sei die Rede von dieser Bar; warum die für Schriftsteller so wichtig sei.

Alles, was knallt

Zwischen dem Traum von Amerika und der deutschen Wirklichkeit liege ein Ozean aus Alkohol, hat vor langer Zeit Michael Althen geschrieben, in seinem Nachruf auf Jörg Fauser, der im „Schumann’s“ seinen 43. Geburtstag feierte, bevor ihn auf der Autobahn im Münchner Osten ein Laster erfasste und tötete.

Und als Rainald Goetz 1992 seinen legendären Spiegel-Essay „Alles, was knallt“ als Erzählung aus dieser Bar anlegte, provozierte er damit eine „Schumann’s“-Debatte: Die Zeit-Redakteurin Iris Radisch wehrte sich, gewissermaßen in Namen des ganzen deutschen Feuilletons, gegen Goetz’ Vorwurf, öde und verbeamtet zu sein und zu keinem neuen Gedanken in der Lage. Whisky, Wodka, Rausch, Leben, lauter außerliterarische Gegenstände.

Charles Schumann, der früher sehr wenig sprach und heute, da er viel gesehen hat und davon berichten möchte, ein bisschen mehr; der aber Schwätzer und intellektuelle Angeber nicht ausstehen kann – Charles Schumann hat das alles so gewollt. Wenn er Studenten, die kaum Geld hatten, mochte und interessant fand, gab es vielleicht eine Suppe in der Küche oder einen Lagavulin aufs Haus. Und wenn aus diesen Studenten dann erwachsene Autoren oder Filmer wurden: dann , offenbarte sich darin Schumanns Gespür für Menschen.

Als das F.A.Z.-Magazin im Februar 1985 die Bar besuchte, dominierten dort noch die Männlichkeitssimulanten des Kulturbetriebs, Leute mit Bartstoppeln, deren Sätze Cowboystiefel trugen. Charles Schumann war schon damals viel zu modern für solche Retro-Inszenierungen – und als er anfing, im Nebenberuf als Model zu arbeiten, war er um die sechzig, hatte graue Haare, eine Boxernase und viele Falten. „Separates the men from the boys“ hieß der Spruch in dem Clip für ein Eau de Toilette, und womöglich nahmen die Schöpfer des Videos das ja ernst. Charles Schumann grinste, als ob er damit sagen wollte, dass es für einen wie ihn nicht ums Separieren gehe, sondern ums Gegenteil: Dazu betreibt er ja seine Bar.

Charles Schumann, Bauernsohn aus der Oberpfalz und Besitzer einer Bar, mit deren Ruhm sich allenfalls die Bar des „Algonquin“ in New York messen kann, ist zugleich der bodenständigste und der weltläufigste Mensch, den man sich vorstellen kann. Und in der Unglaublichkeit seiner Präsenz und Existenz eine sehr literarische Figur. Man kann sich aber, wenn er da ist, auch ein Pils bei ihm bestellen. Heute wird er achtzig Jahre alt.

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