#Gerüchte über Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich – Frankfurter Zeitung von 1923
In ausländischen, vor allem englischen, Blättern scheint die gestrige Besserung des Markkurses an der New Yorker Börse in Verbindung mit den Bemühungen der Reichsregierung um eine deutsch-französische Verständigung gebracht zu werden, und man verzeichnet bereits Gerüchte, dass schon in den allernächsten Tagen mit einer deutschen Note nach Paris und Brüssel der Anfang zu offiziellen direkten Verhandlungen gemacht werde. Der diplomatische Korrespondent der „Daily Mail“ glaubt sogar, für heute oder morgen mit einer deutschen Kapitulation rechnen zu können, mit einer Kapitulation allerdings, hinter der bereits der Anfang einer deutsch-französischen industriellen Zusammenarbeit im Westen stehe.
Von Pariser maßgebender Stelle wird der Korrespondent erfahren haben, dass es nur noch eine Sache der Verhandlungen sei, um die deutsch-französische Zusammenarbeit zu verwirklichen. Die Deutschen hätten ihre Dienste angeboten und die Franzosen seien der Ansicht, dass eine solche wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht zu umgehen sei. Dass eine derartige Entwicklung auch für England von äußerster Wichtigkeit sei, wisse man in offiziellen Kreisen, die übrigens von London aus darauf vorbereitet seien, dass England die ihm zustehende Mitwirkung bei der Besprechung der deutschen Vorschläge beanspruche.
Es ist schwer, zu diesen mindestens voreiligen, auf unbekannte Quellen zurückgehenden Nachrichten von deutscher Seite eine klare Darstellung der wirklichen Vorgänge zu geben, weil es sich dabei um Dinge handelt, die, zurzeit wenigstens, eine öffentliche Behandlung noch nicht vertragen. Reichskanzler Dr. Stresemann hat vor acht Tagen in seiner Stuttgarter Rede den Franzosen die Notwendigkeit einer deutsch-französischen wirtschaftlichen Kooperation im Rahmen der gesamten Auseinandersetzung mit den Reparationsgläubigern einschließlich Englands vor Augen geführt und die Bereitschaft Deutschlands zu einer solchen Zusammenarbeit stark unterstrichen.
Man kann wohl annehmen, dass es die Reichsregierung bei dieser akademischen Bereitschaftserklärung nicht hat bewenden lassen, sondern im Zusammenhang mit ihren auch nach außen hin unternommenen Bemühungen, den Ruhrkonflikt zu einem baldigen erträglichen Abschluss zu bringen, sich auch ein konkretes Programm für die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden benachbarten Länder als Grundlage für spätere Verhandlungen geschaffen hat.
Wir haben in der letzten Zeit öfters betont, dass die Regierung Stresemann sich der Verantwortung bewusst ist, die ihr die Übernahme der Geschäfte in einem Zeitpunkt auferlegte, wo die deutsche Widerstandkraft zweifellos nicht mehr auf ihrem Höhepunkt stand, und dass sie im Bewusstsein dieser Verantwortung auch die notwendigen Schritte nach innen und außen unternommen hat, um aus der heillosen Verstrickung einen Weg ins Freie zu finden.
Der Weg zu einer raschen Verständigung über den Ruhrkonflikt kann, wie sich die Dinge entwickelt haben, nur über die Anbahnung einer direkten Aussprache zwischen Berlin, Paris und Brüssel führen. Dass die Regierung Stresemann irgendwie diesen Weg beschritten hat, ist heute kein Geheimnis mehr, und wir glauben auch nicht, dass man in London darüber überrascht ist.
Es ist natürlich falsch, wenn französische oder englische Korrespondenten von einer unmittelbar bevorstehenden deutschen Kapitulation sprechen; dass die deutsche Regierung und niemand in Deutschland eine Kapitulation will, sondern eine würdige Erledigung des Konflikts als Auftakt für eine Regelung des Reparationsproblems, hat die gegenwärtige Regierung oft genug ausgesprochen. Alles, was sie in der letzten Zeit unternommen hat, um eine Brücke über den Graben zu schlagen, hat ja gerade dem Zweck gedient, eine Kapitulation, bei der Deutschland nicht mehr Herr seiner Entschlüsse wäre, zu verhindern.
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