#Gewalt, Licht und Pracht
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„Gewalt, Licht und Pracht“
Als die Schutzmasken auf unser aller Gesichter kamen, dachten viele an Ensor. Kein Künstler hat mehr gemalte, gezeichnete oder radierte Masken in seinem Werk aufzuweisen als der 1860 im belgischen Ostende geborene Maler, Sohn eines gleichnamigen englischen Vaters und der Flämin Catherina Haegheman. Ein Gutteil der wichtigsten dieser Maskenbilder sind nun als großzügige Leihgaben aus Belgien und vor allem Ostende (wo Ensor abgesehen von drei Jahren Kunststudium in Brüssel bis zu seinem Tod 1949 lebte) in einer Ausstellung der Mannheimer Kunsthalle zu sehen, dazu über hundert bislang nur sehr selten ausgestellte Blätter.
Doch der Vergleich mit Corona-Masken bleibt oberflächlich. Einerseits wurde die Mannheimer Schau lange vor dem Ausbruch der Pandemie konzipiert, andererseits bieten Ensors Larven keinen Schutz. Im Gegenteil: Sie „entlarven“ die schauderhaft Maskierten, die oft distanzlos eine zentrale Gestalt umstehen, als Bedrohung. Häufig trägt der Tod selbst bei Ensor noch eine grausige Maske über dem bleichen Totenschädel, so in der im Saal „Der Tod und die Masken“ zu sehenden „Festnahme der Masken“ von 1891.
Es stellt sich also eher die Frage, warum gerade jetzt, nach langer Karenz, Ensors Bildwelten eine Renaissance erleben – in der Ausstellung zum belgischen Symbolismus in Berlins Alter Nationalgalerie (F.A.Z. vom 29. September 2020) war er ebenso zentral vertreten, wie er es in der Folgestation dieser Schau in München sein wird. Das wiedererwachte Interesse könnte an einem Grundproblem des Selfie-Zeitalters und der permanent geforderten Selbstverbesserung liegen: Ensors in jedem Bild zu spürende Suche nach Identität hinter der alltäglichen Verstellung.
Warum nun Mannheim mit einer derart umfangreichen Einzelschau zu Ensor hervortritt, klärt sich anhand einer Trias von Bildern, von denen zwei einst der Kunsthalle gehörten und die hier auf zwei Säle verteilt sind. In der Mitte eines Türdurchblicks wird im der Malerei gewidmeten ersten Obergeschoss das strahlend böse „Der Tod und die Masken“ von 1897 gezeigt, als einer der ersten Ensors für ein deutsches Museum 1927 vom damaligen Mannheimer Direktor Gustav Friedrich Hartlaub angekauft, 1937 als „entartet“ aus der Sammlung ausgesondert und 1939 in Luzern an das Städtische Museum Lüttich versteigert, von wo es nun glücklicherweise ausgeliehen wurde.
Selbstbildnis als Tod: James Ensors „Das malende Skelett“, 1896.
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Bild: Hugo Maertens, Collection KMSKA
Auf diesem Schlüsselbild ist der Tod inmitten der maskierten Untoten noch sehr lebendig, wie das den Betrachter frech fixierende Auge in der linken Höhle und die eben erst erlöschende Lebenskerze in seiner Hand verraten. Warum allerdings über der Szenerie aus einem Heißluftballon auf den verkleideten Pierrot darunter ein Mann mit nacktem Hintern defäkiert, der bis auf den Ballon auch von Hieronymus Bosch stammen könnte, bleibt offen.
Zwischen Turner und Bosch
Eine Erklärung könnte das links den „Tod und die Masken“ flankierende „Malende Skelett“ geben, auf dem Ensor selbst als Knochenmann in himmelblauem Anzug an einem winzigen Bild auf der Staffelei arbeitet. Schrittweise verwandelte er für dieses makabre Selbstbildnis als malender Toter eine Fotografie von sich und seinem Studio, die zuvor wohl bereits in Kunstzeitschriften-Beiträgen über ihn zu sehen war; die Röntgenaufnahme des Bildes zeigt ihn noch wie auf dem Foto mit normalem Gesicht und sitzend. Offenbar war ihm das zu „tot“ – und so übermalte er sich als stehender, höchst agiler Tod, als Dandy mit Einstecktuch und anspielungsreichen Pinseln. Bei Ensors skurrilem Humor darf von einer medienwirksamen, weil selbstironischen Selbstpräsentation für die Öffentlichkeit ausgegangen werden.
Dass die Bilder mit ihrer Todessymbolik zwar symbolistisch, immer aber auch augenzwinkernd gelesen werden können, erweist sich nicht zuletzt an seiner Gründung eines Karnevalsvereins, auf die er stolz war: der „Kompagnie der toten Ratte“. Schließlich lehnt an einer Wand dieses petersburgisch vollgehängten Ateliers das Stillleben „Der tote Hahn“ von 1894, bei dem das Federvieh am Tisch hochtheatralisch kopfüber von einer Art Mast baumelt, an dem als Segel die Tischdecke aufgespannt ist. Das 1956 angekaufte Original dieses Stilllebens hängt auf der rechten Seite des Saaldurchgangs und komplettiert die Trias des Surrealen.
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