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#Ungekürzt, doch schwach gewürzt: Donizettis „Anna Bolena“ an der Deutschen Oper Berlin

Spitzweg zu Besuch im Hause Tudor: David Alden und Enrique Mazzola bringen Gaetano Donizettis „Anna Bolena“ an der Deutschen Oper Berlin heraus. Ihre mitreißenden Momente können nicht den ganzen Abend tragen.

Feministische Oper gibt es schon lange. Eine Blüte hatte sie im italienischen Belcanto des frühen 19. Jahrhunderts, abzulesen allein an der enormen Vielzahl weiblicher Titelheldinnen beispielsweise bei Donizetti – am Ende zwar meist tot oder wahnsinnig, dennoch die Kraftzentren seiner Stücke. Dass die Sache ihrerzeit besser funktionierte als manch feministisch etikettierte Angestrengtheiten heute, liegt vielleicht daran, dass es aktuell den Begriff und das Label, aber kaum überzeugende Persönlichkeiten gibt, die in wie außerhalb der Kunstwelt auch die männliche Hälfte der Weltbevölkerung mitreißen und inspirieren können; damals aber durchaus.

Eine dieser kulturprägenden Figuren der italienischen Frühromantik war Giuditta Pasta, 1831 Vincenzo Bellinis erste Norma und ein Jahr vorher die Protagonistin der „Anna Bolena“ von dessen Konkurrenten Gaetano Donizetti. Fünf Generationen später wurde diese in doppelter Bedeutung „englische“ Partie – denn gemeint ist Anne Boleyn, die zweite und auf dessen Befehl unter scheinheiligen Vorwänden enthauptete Ehefrau Heinrichs VIII. – in ihrer Verkörperung durch Maria Callas ein markanter Ausgangspunkt jener Belcanto-Renaissance, die seither weltweit die Opernspielpläne mitprägt.

Nun war es an Berlins Deutscher Oper Federica Lombardi, die sich in diese Tradition stellte – mit gutem Erfolg: eine Königin vom Scheitel bis zur kleinen Zehe, in Gefühlsinnigkeit und Würde ebenso jung wie souverän wirkend. Sängerisch fehlte es ihr in der Auftrittsarie noch ein wenig an der Lockerheit der Koloraturen und auch an jener lyrischen Aura weicher Schmerzlichkeit hinter allem Glanz, die sich dann mit dem Fortgang der Tragödie zunehmend einstellte und schließlich, trotz einiger konditioneller Schwächen, in der mons­trös langen und darin erst durch Brünnhildes „Götterdämmerungs“-Schlussgesang wieder eingeholten Abschiedsszene ergreifend kulminierte.

Eine ungewöhnliche Verzwergung

Wenn sie vorher mit Vasilisa Berzhanskaya als ihrer innerlich zerrissenen Rivalin und Nachfolgerin Jane Seymour – trockener und spröder im Timbre, aber in der emotionalen Sprengkraft vielleicht sogar noch intensiver – ins Duett ging, miteinander abrechnend, verzeihend, wechselseitig verzweifelt: dann durfte man das Gefühl haben, einem großen Moment der Operngeschichte in authentischer Verkörperung beizuwohnen.

Dass solche entflammt mitreißenden Momente nicht den ganzen Abend trugen, hatte mehrere Ursachen. Da gibt es zunächst eine auch für den Frauenstimmen-Anbeter Donizetti ungewöhnliche Verzwergung der Männerrollen, die durch David Aldens Regie (im Wesentlichen ein Remake seiner Züricher­ Inszenierung von 2021 mit der einfallsschlicht schattenspielenden, aber immerhin akustisch vorteilhaften Ausstattung Gideon Daveys) noch potenziert wird.

Großes Theater geht anders

So erscheint Percy, Annas Ex-Ehemann und nunmehriger Störfaktor im königlichen Plan für eine möglichst flotte Entsorgung der bisherigen Gattin zugunsten der neuen, beim ersten Auftritt als eine Art Edelpenner mit geschnürtem Ränzlein im Biedermeier-Outfit, dessen Regenpelerine er später schmollend in die Ecke knautscht. Vielleicht wäre er – vokal von René Barbera mit wohlklingendem Schmacht- und Ergebenheitsgestus ausgefüllt – in dieser vergrämten Kümmergestalt einer jener schubertschen Wanderer, die just immer da landen, wo das Glück gerade um die Ecke verschwunden ist, doch selbst bei üppigster Phantasie ganz gewiss keine erotische oder politische Konkurrenz für den König.

Heinrich seinerseits, als Bühnenerscheinung respektabel schneidig, wird in wieder anderer Weise infantilisiert: mit äffischem Gefuchtel, unentschieden zwischen machohaften Allmachtsgebärden und kleinmütigem Abtauchen, auch sängerisch ohne klare Linie zwischen wetternden Ausbrüchen und Rückzügen ins Unauffällige. Im Finale des ersten Aktes fällt ihm als Aktionsform für seine aufgeplustert hochkochenden Machtattitüden nichts ein, als mit Kissen um sich zu werfen. Großes Theater geht anders.

Bei allem Respekt

Als drittes Mannsbild – der höfische Schnulzensänger Smeton – agierte gemäß Donizettis Vorgaben die Mezzosopranistin Karis Tucker, karikaturistisch ins Tuntenhafte überdreht, stimmlich schütter und wie Barbera unvorteilhaft kostümiert. Ansonsten hohe Hüte und Zweireiher, Regenschirme, Wachslichter und eine enervierende rituelle Bedächtigkeit der Aktionen: ein wenig so, als sei Spitzwegs Figurenwelt ins Haus Tudor eingebrochen, freilich todesdüster überstaubt – sogar die als Requisit mitspielende Meyer-Madonna des jüngeren Holbein wirkte spinnwebig angegraut, als habe auch noch die Letzte Generation das Ihre zur Szene beitragen wollen.

Freilich korrespondierte diese biedermeierlich undramatische Betulichkeit gar nicht so schlecht mit der musikalischen Anlage Enrique Mazzolas, der eher auf noble Transparenz und Diskretion als auf zuspitzende Plastizität setzte. Deutlich wurde, wie stark in dieser Oper die Einflüsse des Edelmelodikers Bellini auf Donizetti waren (andersherum liefen die Linien dann wieder bei der Übernahme der vertrauensvollen Frauen-Rivalität in Bellinis „Norma“); doch angesichts der selbst bei den Stretta-Schlüssen sehr defensiven Tempi und dynamischen Dämpfungen erwuchs aus solchen Erlebnissen wenig unmittelbare Hör-Lust.

Dass der Dirigent dabei ausdrücklichen Wert auf die ungekürzte Partitur inklusive all ihrer behaglich ausgebreiteten Rezitative legte, stellte vor allem in der (atmosphärisch eigentlich dichteren) zweiten Hälfte des Abends Neugier und Vergnügen am passablen Solisten-Tableau wie auch der differenzierten Chorführung gelegentlich auf harte Proben. Bei allem Respekt vor philologischer historischer Treue – hier wäre weniger wohl doch mehr gewesen.

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