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#„Nächstes Jahr lassen wir die Sau raus“

„„Nächstes Jahr lassen wir die Sau raus““

Was machen Radprofis, wenn ihre Saison zu Ende ist? Wenn Feierabend ist nach neunmonatiger Hatz kreuz und quer durch Europa und darüber hinaus? Wenn keine weitere knüppelharte Wettfahrt mehr ansteht über flüsternden Asphalt, gepflasterte Holperpisten, hohe Berge, sanfte Hügel oder enge Städte? „Wir sind ein bisschen um die Häuser gezogen“, erzählt John Degenkolb schmunzelnd. Zu Fuß, von Bar zu Bar, in Paris.

Auch Jonas Rutsch gehörte zu der feierwilligen Gruppe, die am Sonntagnachmittag in Frankreich ihre Velos verluden und nun eine Weile nicht mehr besteigen werden. Das Eintagesrennen Paris–Tours war der Saisonabschluss für Degenkolb und auch Rutsch. Der Oberurseler und der Odenwälder trainieren – so es ihre Jobs ermöglichen, dass sie beide gleichzeitig in Rhein-Main sind – öfter miteinander. Und sind nun parallel in die Radsportferien gestartet nach einer Saison 2022, die den einen (Degenkolb) mehr zufriedenstellte als den anderen (Rutsch). „Wenn in dieser Woche die letzten virtuellen Teammeetings vorbei sind, in denen aufgearbeitet und vorausgeblickt wird, ziehe ich mindestens zwei Wochen lang den Stecker und mache mit der Familie richtig Urlaub“, sagt Degenkolb.

Zwei Wochen Urlaub: „Länger kann ich nicht“

Rutsch hat seiner Verlobten dagegen schon zu verstehen gegeben, dass er vorerst keine Flughäfen und Flugzeuge mehr sehen kann. Zwei Wochen will der 24-Jährige nun die Füße von den Pedalen lassen. „Länger kann ich nicht“, sagt Rutsch. „Am liebsten würde ich schon jetzt zum Hörer greifen, um dem Team zu sagen: Leute, was kann ich besser oder anders machen? Lasst uns einen Plan ausarbeiten.“ Doch sein Arbeitgeber, der amerikanischen Equipe EF Education-EasyPost, bremst den tatendurstigen Hessen. Erholung ist angesagt.

Rutsch hadert mit der Saison 2022. Nach dem Paukenschlag in eigener Sache bei der „Königin der Klassiker“ Paris–Roubaix im Jahr zuvor, als ihn nur ein Reifenschaden vor dem Sturm auf Rang fünf abhalten konnte, und einem starken Debüt bei der Tour de France „war 2022 nicht das, wofür ich trainiert und mir den Allerwertesten aufgerissen habe“. Das zumindest eine Topergebnis, das ihm von der Leistungsstärke zuzutrauen ist und das ihn in eine vordere Reihe seiner Zunft spülen würde, ist ausgeblieben.

Der Reihe nach: Nachdem er gut und coronafrei durch den Winter gekommen war, erwischte ihn das Virus gleich nach dem ersten Rennen. Zur Unzeit. „Drei Wochen ging nichts, und dann hat es mir noch lange nachgehangen“, erzählt Rutsch. Das Frühjahr, also die Klassikerzeit und damit das bevorzugte Rennterrain von ihm und auch Degenkolb, war quasi dahin. Zumindest zum Höhepunkt Paris– Roubaix wieder in Form, erlitt Rutsch dort dann einen Materialschaden nach dem anderen. „Danach war ich echt einige Tage lang kaum ansprechbar“, erinnert er sich.

Nach einem mehrwöchigen Höhentrainingslager mit Blick auf die Tour de France reiste Rutsch in starker Form zur Tour de Suisse. Nach einem Corona-Einschlag im Team waren plötzlich nur noch er und zwei Teammitglieder übrig.

Zehrendes Programm „wird mir mit Blick auf die Saison guttun“

Die in Dänemark gestartete Frankreich-Rundfahrt hielt für ihn dann gleich bei der ersten Gelegenheit die nächste unliebsame Überraschung bereit. Einen unsanften Kontakt mit dem Kopenhagener Asphalt: Sturz bei der Auftaktetappe. „Danach habe ich anderthalb Wochen nur im Feld gehangen und habe gehofft, dass die einzelnen Etappen möglichst schnell vorüber sind. Ich war ein Schatten meiner selbst“, sagt Rutsch. In der dritten Rennwoche wurde es besser, doch dem gehegten Ziel, bei einer Etappe mal ganz vorne um den Sieg mitzufahren, kam er nicht nah. Immerhin winkte am Ende auf den Champs-Elysées das große private Glück: Heiratsantrag, mit Ja beantwortet.

Kopf an Kopf: Links Jonas Rutsch (EF Education - Nippo), rechts John Degenkolb (Team DSM).


Kopf an Kopf: Links Jonas Rutsch (EF Education – Nippo), rechts John Degenkolb (Team DSM).
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Bild: Picture Alliance

Wenn schon das Frühjahr und der Sommer missrieten, bleibt ja noch das Saisonfinale. Rutsch hatte sich nach der Tour-Strapaze wieder in Form gebracht. Doch anstatt um ein Topergebnis mitzuradeln, war sein Team im erstmals so stattfindenden Kampf gegen den Verlust der WorldTour-Lizenz verwickelt. Das hieß: Tingelei durch die Radsportprovinz, abstrampeln vorne im Wind auf irgendwelchen belgischen Rundkursen. Machte über 60 Renntage in den Beinen und diverse Frusterlebnisse im Kopf.

Viele sportliche Höhenflüge hatte auch Degenkolb nicht, dafür viele Tage in Höhentrainingslagern. Der 33-Jährige hat mit der Tour und der Vuelta a España gleich zwei dreiwöchige Landesrundfahrten (allein über 7000 Kilometer Rennstrecke) bewältigt. Ein zehrendes Programm. „Das wird mir mit Blick auf die neue Saison guttun“, sagt Degenkolb über den möglichen sportlichen Effekt.

Die Saison-Einteilung hatte auch experimentellen Charakter. Erstmals in seiner langen Profikarriere schuftete er im Februar (vor den Klassikern) und im Mai (vor der Tour) je drei lange Wochen in Höhentrainingslagern. Als er dann im September „gefühlt“, wie er sagt, „erstmals seit Mai mal eine ganze Woche zu Hause war“, erschien es ihm „zu viel“. Weniger Trainingslager und mehr Renneinsätze, gerade in der Klassikersaison, schweben ihm für 2023 vor.

Die Transformation des Profis Degenkolb, der in quasi jedem Rennen auf Sieg fährt, zu einer Leitfigur im Team DSM, welche die Formation im Wettkampf anführt und eigene Ambitionen zurückstellt, ist weit fortgeschritten. „Die Rolle des Road Captains macht mir extrem viel Spaß. Und ich bekomme das Feedback, dass ich das junge Team besser mache“, sagt Degenkolb. Dennoch empfindet er, dass seine neue Rolle noch besser verankert sein könnte.

Dass es ihm künftig noch leichter fällt, sich zu zügeln, auch wenn die Gelegenheit für einen eigenen Vorstoß günstig scheinen. Aber auch nach außen, zu denjenigen, die in der Statistik null Saisonsiege sehen und radsportliche Alterserscheinungen unterstellen. Nach dem Urlaub jedenfalls freut Degenkolb sich auf ein geregeltes Wintertraining daheim. Er und Rutsch hätten sich schon für gemeinsame Trainingsausfahrten verabredet. „Um dann“, sagt Rutsch, „in den Rennen im Frühjahr richtig die Sau rauszulassen.“

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