#Große Krisen überfordern die EU
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„Große Krisen überfordern die EU“
Die Corona-Pandemie ist die dritte Großkrise, die Europa innerhalb von wenigen Jahren trifft. 2007 brach die internationale Finanzkrise aus, die im Euroraum zu einer Währungskrise wurde. 2015 folgte die Flüchtlingskrise, die vor allem auf Deutschland große Auswirkungen hatte. In allen drei Fällen lagen die unmittelbaren Ursachen nicht in Europa.
Historisch betrachtet ist das ungewöhnlich. Den größten Schaden haben sich die Europäer in der Vergangenheit stets selbst zugefügt, nämlich durch die vielen Kriege, die sie gegeneinander führten. Trotzdem gibt es keinen Grund zum Feiern. Denn gerade die Institution, die den Europäern den Frieden brachte, verliert von Krise zu Krise an Glaubwürdigkeit.
Man kann diesen Prozess an Umfragen der Europäischen Kommission unter den Bürgern der Mitgliedstaaten ablesen. Die Frage, ob sie Vertrauen in die EU hätten, bejahten im Frühjahr 2007 noch 57 Prozent. Dann ging es in der Euro-Krise bis auf 31 Prozent hinab. In der Flüchtlingskrise lag der Tiefpunkt bei 32 Prozent.
Dazwischen stieg das Vertrauen wieder an, aber nicht auf höchste Werte. Noch dramatischer waren die Auswirkungen auf die politische Landschaft in Europa. In vielen Ländern konnten sich EU-kritische Parteien etablieren, in Griechenland und Italien kamen sie sogar an die Macht.
In der EU kann man die Regierung nicht abwählen
Fairerweise muss man dazu sagen, dass die Bürger von ihren nationalen Regierungen in solchen Umfragen meist eine noch geringere Meinung haben. Aber es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen der Union und den Staaten, die sie bilden. Die EU ist ein Zweckverband, der unter einem viel grundsätzlicheren Rechtfertigungsdruck steht als das Heimatland. Eine nationale Regierung kann man abwählen, wenn sie einem nicht passt. In der EU ist das praktisch unmöglich, weshalb Unzufriedenheit mit Brüsseler Entscheidungen immer wieder zu Austrittsdebatten führt.
Deshalb sollte man die Enttäuschung über die schleppende Impfstoffbeschaffung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die beiden vorigen Krisen führten jeweils in einem anderen Teil Europas zu großem Verdruss: die Euro-Krise im Süden, die Migrationskrise im Norden.
Von Corona sind alle betroffen, denn unter dem Impfstoffmangel leidet jeder von Spanien bis Irland. Dass eine der reichsten Regionen der Welt in einer Jahrhundertpandemie nicht in der Lage ist, schnellstmöglich Medikamente zur Verfügung zu stellen, die teilweise hier entwickelt und produziert werden, dürften die Bürger nicht so schnell vergessen.
Brüssel war nicht vorbereitet
Das Problem sind aber nicht allein die nun bekannten Versäumnisse der Kommission, ihrer Präsidentin und der Mitgliedstaaten, die natürlich an den Beschlüssen beteiligt waren. In der Pandemie wiederholt sich etwas, was man leider aus den beiden anderen Krisen kennt: Die EU übernimmt Aufgaben, auf die sie gar nicht vorbereitet ist.
In der Euro-Krise wurde sie zum Kreditgeber für klamme Mitgliedstaaten, obwohl sie kein Währungsfonds ist. In der Flüchtlingskrise sollte sie Migrantenströme steuern, obwohl sie keine (Grenz-)Polizei hat. In der Pandemie soll sie Impfstoff für 450 Millionen Menschen kaufen, obwohl sie nicht einmal ein Gesundheitsamt betreibt.
Man muss kein Euroskeptiker sein, um zu vermuten, dass die Fehleinschätzungen, für die von der Leyen jetzt öffentlich Abbitte leistet, auch daher stammten, dass das Brüsseler Personal keine Erfahrung mit solchen Bestellvorgängen hat.
Es ist bezeichnend, dass man sich im vergangenen Jahr offenbar vor allem um die Kosten der Impfdosen Sorgen machte, denn nichts fürchtet man in der EU mehr als den Vorwurf der Verschwendung. Und dass der Aufbau von Produktionskapazitäten staatlich gefördert werden muss, wie selbst die marktgläubige amerikanische Regierung richtig und vor allem rechtzeitig erkannte, passte nicht zum Denken in Brüssel, das traditionell auf privatwirtschaftlichen Wettbewerb ausgerichtet ist.
In der aussterbenden Klasse der überzeugten Europäer glaubten früher viele, dass Krisen der EU von Nutzen seien, weil sie quasi automatisch dazu führen, dass Brüssel mehr Kompetenzen bekommt. Das war in der Euro-Krise sicher noch der Fall, in der Flüchtlingskrise schon etwas weniger.
In der Pandemie erscheint es nach den jüngsten Erfahrungen nicht zwingend. Das Argument, dass ein Impfstoffwettlauf zwischen den Mitgliedstaaten die schlechtere Lösung gewesen wäre, ist im Grundsatz richtig. Aber ein Wettlauf wäre auch vermieden worden, wenn Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande wie ursprünglich geplant die Bestellung des Impfstoffs für Europa auf den Weg gebracht hätten.
Ob sie es besser gemacht hätten als von der Leyens Truppe, weiß man nicht. Aber eines ist gewiss: In absehbarer Zukunft wird es in der EU keine politischen Mehrheiten für Vertragsänderungen geben, die aus der Kommission eine voll handlungsfähige Regierung machen. Deshalb wird es weiter nötig sein, dass sich auch die Mitgliedstaaten um das europäische Geschäft kümmern – vor allem in Notlagen.
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