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#Schreib mal ein bisschen schlechter!

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Schreib mal ein bisschen schlechter!

Daniel Kehlmann war nicht gekommen. Ein falsch positiver Corona-Test hatte ihn in New York festgehalten, das Flugzeug, in dem er einen Sitzplatz gebucht hatte, war ohne ihn nach Deutschland geflogen. Deshalb saß an Kehlmanns Stelle der Schauspieler Hanns Zischler im Innenhof des Museums Barberini in Potsdam und verlas die Rede „Mein Algorithmus und ich“, die der Schriftsteller nach einem Besuch im Silicon Valley im vergangenen Jahr verfasst hatte.

Es war ein warmer Frühsommerabend. Die Baumkronen auf der Freundschaftsinsel, die das Potsdamer Stadtzentrum vom Bahnhofsviertel trennt, wiegten sich lautlos im Wind. Über der Havel zog ein Fischreiher seine Kreise. Wolfgang Mattheuers „Jahrhundertschritt“, diese unheimlichste aller deutschen Skulpturen des zwanzigsten Jahrhunderts, die in einer gleichzeitigen Vor- und Rückwärtsbewegung den gestreckten rechten Arm und die geballte linke Faust aus dem Hof nach Süden reckte, hatte seinen Schrecken verloren. Etwa einhundert Besucher ohne Masken saßen auf Stühlen zwischen den rekonstruierten neobarocken Fassaden und hörten Zischler zu, dessen Vortragskunst aus Kehlmanns Text ein zweistimmiges szenisches Schauspiel machte. Dann wurde der Autor selbst aus Amerika per Monitor zugeschaltet, und ein Pingpong von Fragen und Antworten begann.

Der Algorithmus hat kein Innen

Noch vor zwei Jahren wäre ein solcher Abend beim Potsdamer Literaturfestival Routine gewesen. Aber die Zeiten haben sich verfinstert, die Kulturbranche streckt nach langem Koma gerade wieder vorsichtig ihre Glieder, und so muss man von Zischlers realem und Kehlmanns bildlichem Auftritt reden wie von einem Erweckungswunder. Es ging um die Kreativität der Künstlichen Intelligenz in Kehlmanns Rede, um das Schreiben mit einem Ko-Autor namens Control und die seltsamen Prosa-Fehlleistungen, die dabei entstehen, aber natürlich ging es auch um das Jahr, das hinter uns liegt, um die Schließung der öffentlichen und das Wuchern der digitalen Sphäre, um die virtuellen Ersatzwelten für eine stillgelegte Wirklichkeit. Control, der Partner seines Schreibexperiments, habe „kein Innen“, sagte Kehlmann, während die Algorithmen der Zoom-Verbindung seine Worte verzerrten, er wisse nichts, was wir nicht auch wüssten, und könne deshalb keine Geschichte erzählen, sondern immer nur Sprachfetzen zusammenstellen. Dieses Fetzenhafte hatte auch die Realität der letzten Monate. In Potsdam konnte man sich eine Woche lang in dem Gefühl wiegen, dass es damit jetzt vorbei ist.

Die lit:potsdam, die in diesem Sommer zum neunten Mal stattfand, war das erste deutsche Literaturfest des Jahres, das ganz als Präsenzveranstaltung über die Bühne ging. Dass die Lesungen im Freien abgehalten werden mussten, kam dem Festival zupass, denn die lit:potsdam ist ohnehin ein Open-Air-Event. Die Villengegend im Ostteil der Stadt, dort, wo sich die Potsdamer Hügellandschaft zur Havel hin öffnet, bietet die ideale Kulisse für ein Kulturereignis, das auf den Rahmen mindestens so viel Wert legt wie auf seinen Inhalt.

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