Gürtelrose-Impfung schützt doppelt

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Die schmerzhafte Gürtelrose entsteht, wenn Varicella-Zoster-Viren im Körper wieder aktiv werden – die Viren, die Windpocken verursachen. Weil dieses Wiederaufflammen vor allem im Alter auftritt, wird älteren Menschen ab 60 eine Impfung gegen Gürtelrose empfohlen. Doch diese Impfung könnte einen weiteren positiven Nebeneffekt haben: Sie verringert auch das Demenzrisiko, wie nun eine neue Studie bestätigt. Geimpfte Senioren erkranken demnach um rund 20 Prozent seltener an einer Demenz als nicht geimpfte Altersgenossen. Besonders ausgeprägt war dieser Schutzeffekt der Gürtelrose-Impfung bei Frauen – warum, ist noch nicht geklärt. Dies könnte aber mit der allgemein stärkeren Immunreaktion von Frauen auf Impfungen und Infektionen zusammenhängen. Nach Ansicht der Forschenden bestätigen ihre Ergebnisse, dass Viren, die das Nervensystem befallen, das Risiko für eine Demenz erhöhen können. Die Gürtelrose-Impfung könnte daher ein einfaches und günstiges Mittel der Prävention sein.
Das zu den Herpesviren gehörende Varicella-Zoster-Virus (VZV) kann gleich zwei verschiedene Krankheiten verursachen. Bei der Erstinfektion mit dem Erreger – meist im Kindesalter – löst der Erreger Windpocken aus – typisch dafür sind juckende Pusteln am ganzen Körper. Normalerweise sind die Windpocken nach rund einer Woche vorbei, nicht aber die Infektion mit dem auslösenden Virus. Wie fast alle Herpesviren bleibt auch Varicella Zoster lebenslang im Körper. Die Viren überdauern in einer Art Ruhezustand in den Nervenenden und weiterführenden Nervenfasern, ohne dass sie Symptome verursachen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind rund 95 Prozent aller erwachsenen Menschen latent mit Varizella Zoster infiziert. Wenn jedoch das Immunsystem der Infizierten schwächer wird – durch eine andere Krankheit oder hohes Alter – können die Herpesviren aus ihrer Latenz erwachen und sich wieder vermehren und ausbreiten. Die Folge ist dann eine Gürtelrose. Typisch für sie ist ein sehr schmerzhafter Hautausschlag an einer Seite des Rumpfes, seltener am Kopf. Auch Lähmungen und Hirnhautentzündungen können vorkommen. Deshalb wird eine Impfung gegen Gürtelrose für ältere Menschen empfohlen – in Deutschland ist sie ab 60 Jahren eine Kassenleistung.
Ein” natürliches Experiment”
Schon länger besteht zudem der Verdacht, dass Herpesviren und im Speziellen Varicella Zoster eine Rolle bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und anderen Demenzen spielen. Indizien dafür liefern ein vermehrtes Vorkommen von bestimmten Herpesviren im Gehirn gestorbener Alzheimer-Patienten, aber auch Laborversuche mit Gewebekulturen menschlicher Hirnzellen. Umgekehrt gab es bereits erste Hinweise darauf, dass eine Gürtelrose-Impfung das Demenzrisiko senken könnte. Studien zeigen geringere Demenzraten bei geimpften Senioren. Allerdings war es bisher schwierig, studienbedingte Verzerrungen auszuschließen. „All diese assoziativen Studien leiden unter dem grundlegenden Problem, dass Menschen, die geimpft werden, ein anderes Gesundheitsverhalten haben als Menschen, die sich nicht impfen lassen möchten“, erklärt Seniorautor Pascal Geldsetzer von der Stanford University. „Im Allgemeinen wurden diese Studien daher nicht als solide genug angesehen, um Empfehlungen daraus abzuleiten.“
Doch ein “natürliches Experiment” hat nun Geldsetzer, Erstautor Markus Eyting und ihren Kollegen die Chance gegeben, den Zusammenhang von Gürtelrose-Impfung und Demenzrisiko ohne diese Verzerrungen zu untersuchen. Möglich wurde dies durch ein Impfprogramm, das am 1. September 2013 in Wales eingeführt wurde. Die Besonderheit dabei: Weil der dabei eingesetzte Lebendimpfstoff gegen Gürtelrose knapp war, wurden nur diejenigen für die Impfung zugelassen, die an diesem Stichtag noch nicht 80 Jahre oder älter waren. Das bedeutete: Im Extremfall durfte ein 79-jähriger mit Geburtstag am 2. September geimpft werden, ein Mensch, der einen Tag zuvor 80 geworden war aber nicht. Genau dies nutzten Geldsetzer und sein Team für ihre Studie: Sie verglichen die Gesundheitsdaten und im Speziellen die im Verlauf der folgenden sieben Jahre auftretenden Demenzraten der Senioren, die in der Woche vor dem Stichtag 80 geworden waren und daher keine Impfung erhielten, mit denen von Senioren, die erst in der Woche danach 80 wurden. Weil es theoretisch in beiden Gruppen genauso viele Impfwillige und Impfunwillige gibt, aber nur eine Gruppe die Impfung erhalten konnte, minimiert dies die sonst typische Verzerrung. „Sie sind sich ähnlich, bis auf diesen winzigen Altersunterschied“, erklärt Geldsetzer. Die Forschenden konnten daher vergleichen, ob sich diese beiden Kohorten in den sieben Folgejahren in Bezug auf ihre Demenzraten unterschieden.
Klarer Schutzeffekt der Impfung
Die Auswertung ergab tatsächlich einen Unterschied – nicht nur beim Auftreten der Gürtelrose, sondern auch im Hinblick auf die Häufigkeit von Demenzfällen in beiden Gruppen: Die Senioren, die eine Gürtelrose-Impfung erhalten hatten, entwickelten seltener eine Demenz als die Kontrollgruppe der um eine Woche zu alten Testpersonen. Das Risiko einer Demenz war mit der Impfung um 20 Prozent geringer, wie die Forschenden ermittelten. Dieser Unterschied blieb auch dann erhalten, als sie mögliche andere Einflussfaktoren berücksichtigten. Es gab beispielsweise keinen Unterschied im Bildungsstand, in anderen Erkrankungen wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislaufleiden oder bei anderen Impfungen. „Es war ein wirklich auffälliger Befund“, sagt Geldsetzer. „Dieses große Signal einer Schutzwirkung war da, egal wie man die Daten betrachtete.“ Damit bestätigt das “natürliche Experiment” die Hinweise aus früheren Studien, nach denen eine Impfung gegen Gürtelrose das Demenzrisiko signifikant verringert. In den vergangenen zwei Jahren haben Geldsetzer und sein Team die Ergebnisse aus Wales auch anhand von Gesundheitsdaten anderer Länder wie England, Australien, Neuseeland und Kanada überprüft, in denen ähnliche Impfprogramme eingeführt worden sind. Auch dort war eine Schutzwirkung der Gürtelrose-Impfung vor Demenz zu erkennen.
Die Analysen ergaben aber auch, dass der Schutzeffekt der Impfung bei Frauen stärker ausgeprägt war als bei Männern. Noch ist unklar, warum dies der Fall ist. Das Team vermutet aber, dass dies mit bekannten Unterschieden in der Immunantwort von Frauen und Männern zusammenhängt: Typischerweise reagiert das weibliche Immunsystem auf Infektionen und Impfungen mit stärkerer Antikörperausschüttung, gleichzeitig neigen Frauen eher zu Autoimmunreaktionen. Auch warum die Gürtelrose-Impfung einen Schutzeffekt gegen Demenz hat und welche Rolle das Varicella-Zoster-Virus für die Entstehung von Demenzen spielt, ist noch nicht geklärt. Nach Angaben von Geldsetzer und seinen Kollegen kommen jedoch mehrere Mechanismen in Frage. So könnte das Herpesvirus eine Autoimmunreaktion auslösen, die mit der Zeit die Nerven und das Gehirn schädigt. Denkbar wäre aber auch, dass die latente Präsenz der Varicella-Zoster-Viren unterschwellige, chronische Entzündungen im Nervensystem verursacht, die neurodegenerative Prozesse begünstigen. Und schließlich könnte es sein, dass die Impfung das Immunsystem anregt und dies auch im Gehirn positive Wirkungen auf die demenzauslösenden Prozesse hat.
Unabhängig vom konkreten Mechanismus sehen die Forschenden in ihren Ergebnissen aber ein starkes Plädoyer für die Gürtelrose-Impfung. “Denn wenn diese Befunde kausal sind, dann sind die Varicella-Zoster-Vakzine weit effizienter und kostengünstiger als alle bisher existierenden pharmazeutischen Präventionsmaßnahmen”, konstatieren Geldsetzer und seine Kollegen.
Quelle: Markus Eyting (Stanford University, Kalifornien) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-025-08800-x
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