Wissenschaft

#Häufigkeit von Long-Covid überschätzt?

Wie groß ist das Risiko, nach einer Corona-Infektion an Long-Covid zu erkranken? Forschenden zufolge wird die Häufigkeit dieser sehr ungenau definierten Folgeerkrankung wahrscheinlich überschätzt. Grund dafür sind methodisch mangelhafte Studien, die oft keine geeignete Kontrollgruppe haben und überdies oft sehr unterschiedliche Krankheitsbilder einbeziehen, die nicht unbedingt einen ursächlichen Zusammenhang mit Covid-19 haben. Die Folgen einer möglichen Fehleinschätzung können ungerechtfertigte Ängste in der Bevölkerung und eine nicht angemessene Verteilung von Forschungsgeldern sein.

Das Krankheitsbild Long-Covid umfasst eine Vielzahl von Symptomen, von Veränderungen des Geschmacks- und Geruchssinns über Schlafstörungen und Kurzatmigkeit bis hin zu allgemeiner Abgeschlagenheit. Mehrere wissenschaftliche Fachverbände haben inzwischen Arbeitsdefinitionen der Erkrankung formuliert. Diese Definitionen sind allerdings in der Regel sehr weit gefasst und umfassen zahlreiche Krankheitsbilder, die auch unabhängig von Covid-19 auftreten können. Einen kausalen Zusammenhang zu einer vorangegangenen Infektion fordert keine der bisherigen Definitionen.

Unklare Definitionen

„Aufgrund der zu breiten Definitionen, fehlender oder ungeeigneter Kontrollgruppen und weiterer methodischer Schwächen überschätzen viele wissenschaftliche Publikationen die Häufigkeit von Long-Covid“, schreibt ein Team um Tracy Høeg von der University of California in San Francisco. „Beispielsweise haben die U.S. Centers for Disease Control and Prevention (CDC) erst kürzlich mitgeteilt, fast jeder fünfte amerikanische Erwachsene leide nach einer Covid-19-Infektion an Long-Covid.“ Diese Zahlen halten Høeg und ihr Team für deutlich zu hoch.

„Nach allen bisherigen Definitionen kann jegliches Symptom, das nach einer bestätigten oder vermuteten Covid-19-Infektion auftritt, als Long-Covid bezeichnet werden, unabhängig von seiner Ursache“, kritisieren die Forschenden. „Diese breite Definition hat dazu geführt, dass in der wissenschaftlichen Literatur über 200 Symptome mit Long-Covid in Verbindung gebracht werden.“ Viele dieser Symptome sind allerdings nicht spezifisch für Covid-19, sondern treten auch nach anderen Viruserkrankungen auf, etwa nach einer schweren Lungenentzündung oder nachdem aus anderen Gründen eine Behandlung auf der Intensivstation stattgefunden hat.

Methodische Mängel

Laut Høeg und ihrem Team lassen die meisten der bisher veröffentlichten Studien keine Schlüsse darauf zu, wie viele der beschriebenen Fälle auch ohne Covid-19 aufgetreten wären. Dazu wären geeignete Kontrollgruppen erforderlich. Nur dann lässt sich vergleichen, ob entsprechende Symptome bei Menschen, die Covid-19 hatten, häufiger auftreten als bei Personen, die ein ähnliches Alter und ähnliche Vorerkrankungen haben, aber noch nicht mit Covid-19 infiziert waren. „Laut einer großen Übersichtsarbeit hatten allerdings von 294 ausgewerteten Studien nur 22 eine Kontrollgruppe“, schreiben Høeg und ihr Team. Die Studien mit Kontrollgruppe zeigten, dass Symptome, die typischerweise mit Long-Covid in Verbindung gebracht werden, in der Gruppe der Infizierten nur geringfügig häufiger auftraten als in der Kontrollgruppe.

Ein weiteres Problem ist der sogenannte Sampling Bias: „In der frühen Phase der Pandemie, als Tests noch nicht weit verbreitet waren, wurden wahrscheinlich eher Personen mit schweren Symptomen in Studien einbezogen, während Infizierte mit leichten Symptomen unterrepräsentiert waren“, erklären die Forschenden. Auch in späteren Phasen kann es zu Verzerrungen gekommen sein, weil Personen, die unter anhaltenden Symptomen leiden, eher motiviert sind, an Studien zu Long-Covid teilzunehmen, als Menschen, deren Symptome rasch wieder verschwunden sind. Zu beachten sei zudem, dass viele Studien aus Zeiten stammen, als die Delta-Variante vorherrschte. Diese führte aber den bisherigen Erkenntnissen zufolge häufiger zu Spätfolgen als die Omikron-Variante.

Negative Folgen für Gesellschaft und Wissenschaft

„Die Fehleinschätzung der Häufigkeit von Long-Covid kann unnötige Ängste in der Bevölkerung schüren und dazu führen, dass Gelder für die Forschung und die Gesundheitsversorgung fehlgeleitet werden“, schreiben Høeg und ihr Team. „Zudem besteht das Risiko, dass andere Krankheiten, die eigentlich behandelbar wären, als Long-Covid fehldiagnostiziert werden. Und auch denjenigen, die tatsächlich unter chronischen Folgen von Covid-19 leiden, kann aufgrund der mangelhaften Abgrenzung schlechter geholfen werden.“

Sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Praxis sei es daher wichtig, die Diagnose Long-Covid nur nach Ausschluss anderer Ursachen zu stellen. Zudem fordern die Autoren klarere Definitionen und schlagen vor, statt des allgemeinen Begriffs Long-Covid lieber spezifische Symptome zu beschreiben, beispielsweise „Geruchsverlust nach Covid-19“. In Studien solle auf eine repräsentative Auswahl der Fälle und Kontrollen geachtet werden und zudem der körperliche und psychische Gesundheitszustand vor der Infektion einbezogen werden.

Ernst nehmen, aber nicht überschätzen

Dem stimmt auch Clara Lehmann von der Post-Covid-Ambulanz der Uniklinik Köln zu, die nicht an der Veröffentlichung beteiligt war. „Es ist von äußerster Wichtigkeit, eine objektive Grundlage wiederherzustellen und uns nicht von Emotionen, politischem Druck oder persönlichem Leidensdruck leiten zu lassen“, sagt sie. „Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass Long- oder Post-Covid kein Hirngespinst ist. Bei einigen Patienten sehen wir auch mehrere Wochen nach der Infektion krasse inflammatorische Reaktionen. Doch dies trifft nicht auf das Gros der Patienten zu. Wir müssen dieses Krankheitsbild ernst nehmen, aber dazu gehört eine ehrliche wissenschaftliche Bestimmung des tatsächlichen Krankheitsrisikos.“

Quelle: Tracy Høeg (University of California San Francisco, USA) et al., BMJ Evidence-Based Medicine, doi: 10.1136/bmjebm-2023-112338

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