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#Haßloch, es ist aus mit uns

Haßloch, es ist aus mit uns

Weil Menschen das eine sagen, aber das andere tun, beobachtet man ihr Verhalten. 35 Jahre lang blickte die Welt auf ein deutsches Dorf in der Pfalz. Seine 21.000 Einwohner wurden zu Stellvertretern für 80 Millionen. Der Grund: ihre Durchschnittlichkeit. Die bemerkt man schon, wenn man von der nahen Autobahnausfahrt in den Ort hineinfährt. Unscheinbar führt der Weg durch eine Reihenhaussiedlung mit Schriftsteller-Straßennamen vorbei an Drogerie- und Supermarkt. In der Ortsmitte ragen Kirchtürme über Sechziger- und Siebzigerjahre-Wirtschaftswunderbeton und Mittelalterfachwerk. Mittendrin ein Betonblock, mit der Nummer 1, das Rathaus. Willkommen in Deutschlands repräsentativsten Dorf: Haßloch.

In den Achtzigerjahren hatte man festgestellt, dass die Bevölkerung eine Art Mini-Deutschland abbildet: Hier gab es so viele Reiche und Arme, Junge und Alte, Männer und Frauen wie im Durchschnitt des Landes. Deshalb machte die Gesellschaft für Konsumforschung GfK – die sich inzwischen „Growth from Knowledge“ nennt – die Haßlocher zu Probanden ihrer Untersuchung des deutschen Kaufverhaltens. Doch mit dem 1. Januar 2022 endete dieser Freiluft-Laborversuch abrupt – nachdem das Großdorf drei Jahrzehnte lang den Vorkoster der Nation gegeben hatte.

Neben dem Dönerladen im Dorfkern bleibt der Schreinerlehrling Leon Hoffmann stehen und zieht an seiner Zigarette. Für ihn, den Achtzehnjährigen, gab es im Leben quasi nur zwei Konstanten: die GfK und Angela Merkel. Immer da, jetzt weg. „Das Tolle war, dass es Produkte gab, die es sonst nirgends gab. Ein Kollege aus der Berufsschule ist deswegen immer zu unserem Edeka.“ Firmen wie Wrigley, Ferrero und Coca-Cola testeten in Haßloch ihre neuen Produkte. Was hier Erfolg hatte, kam oft in die Regale der übrigen Republik.

Für den (durchschnittlichen) Bürgermeister von Haßloch geht das Leben in der Gemeinde weiter.


Für den (durchschnittlichen) Bürgermeister von Haßloch geht das Leben in der Gemeinde weiter.
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Bild: Ilkay Karakurt

Das Leben hier bleibt trotzdem durchschnittlich

Dafür liefen eigens produzierte Fernsehspots, die aus einem lokalen Fernsehstudio ins Kabelnetz eingespeist wurden. Nicht alle der sechs großen Supermärkte im Dorf machten mit, aber viele. Und nicht alle Haßlocher, wohl um die dreitausend Haushalte, da hielt sich die GfK bedeckt. In ausgewählten Wohnzimmern stand eine TV-Box, die registrierte, was die Bewohner sich anguckten. Eine Zeitschrift mit gesonderter Werbung bewarb die Testprodukte. Eine GfK-Karte sammelte und übermittelte bei jedem Einkauf Daten: Wer kauft was, in welcher Größe, in welcher Menge. Ein System à la Payback, nur bevor es das gab. Daten, die Gold wert sind. Und im Gegenzug konnten die Teilnehmer ihre Punkte gegen Prämien eintauschen.

Im Rathaus gegenüber vom Döner­laden, dem Betonblock, sitzt Bürgermeister Tobias Meyer. Der Name Meyer ist der sechsthäufigste Familienname in Deutschland. „Für die Durchschnittlichkeit habe ich eigentlich zu viele Kinder“, vier Söhne, erzählt er. „Wenn die Mehrheit sagt, den Meyer wählen wir, dann bin ich möglicherweise ein durchschnittlicher Bürgermeister“, sagt der CDU-Mann lachend. Überrascht waren sie im Ort schon von der Entscheidung, die Konsumforschung einzustellen – aber das Leben geht weiter, sagt nicht nur Meyer: „Die Mystik geht verloren. Aber die Haßlocher bleiben ja in ihrer Durchschnittlichkeit erhalten.“

Ein überraschendes Ende

Im Lidl nebenan sortiert eine Mitarbeiterin Bananen aus Kolumbien für 1,09 Euro das Kilo in die Körbe. „Ja, wir waren mal ein Testmarkt. Ich darf Ihnen aber nichts darüber erzählen.“ Auch die Chefin wolle nicht. Vielleicht muss ein Rest Mystik erhalten bleiben.

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