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#Zur Feier des Autos

Auf Entwürfen für Bauwettbewerbe nach 1945 lösen sich Gebäude und Straßen immer mehr in kyber­netische Regelkreise und abstrakte Diagramme auf. Die Räume und Volumina sind durch den Steuerungsglauben der Planer vollständig in die Funktionale gerutscht und geben nichts von der kommenden Realität wieder. Gegen diesen Anschauungsverlust hat der Berliner Architekturredakteur Ulrich Brinkmann eine ebenso unscheinbare wie sensationelle Bilderwelt entdeckt, die schon früh zeigte, wie damals die Welt von morgen aussah.

Mit über 200 Postkarten deutscher Nachkriegsstädte in West und Ost entfaltet Brinkmann ein Crescendo des Schreckens der autogerechten Stadt. Diese ästhetische Lumpensammlerei trägt weitgehend Dokumente ohne Au­tor zusammen, die fast an Heinrich Wölfflins Stilkunde einer „Kunstgeschichte ohne Namen“ heranreicht. Kleinverlage, Souvenirhändler, Hobbyfotografen und Kommunalverwaltungen stellten Ansichtskarten von ihren er­neuerten Städten her, die wie Reise­andenken versendet wurden: aufgerissene Stadteingänge mit Schnellstraßen, Durchbrüche in historischen Altstädten, Riesenkreuzungen mit Tunnel- und Brückensystemen.

Auffällig an den frisch planierten Stadtglatzen und Kaltluftschneisen ist ih­re Leere. Nur wenige Autos und Passanten stören die Ruhe dieser Freiflächen, die als „Verkehrserwartungsland“ (Brinkmann) der Massenmotorisierung ent­ge­genträumen. Mit Vorliebe wählten die Fo­tografen ihre Perspektiven von der Mitte der Fahrbahnen aus, weil sie noch nicht Gefahr liefen, von Blechlawinen überrollt zu werden. Und fröhlich strahlen die ersten VW-Käfer, Ford-„Badewannen“ und Opel-Kadetts in allen Bonbonfarben – im Gegensatz zu den schwarz-weiß-silbernen Standard-Karosserien heute, die mit der Tristesse von Kondolenz-Flotten durch die Städte ziehen.

Orientierung bieten allein die Fahrbahnmarkierungen und Wegweiser

Nach Brinkmanns köstlichem Postkarten-Buch 2020 über die Fußgängerzonen im Wiederaufbau („Achtung vor dem Blumenkübel“) zeigt er nun die bittere Ko­evolution der dazugehörigen Verkehrswege. Straßen versteht er nicht bloß als Funktionselemente, sondern als gesellschaftliche Repräsentationsräume. Und Postkarten, einst ein Leitmedium des touristischen Blicks, adeln die ästhetisch unterkomplexen Autoschneisen und Abstandsflächen zu Sehenswürdigkeiten.

Ulrich Brinkmann: „Vorsicht auf dem Wendehammer“. Die Straße als Element des Städtebaus. Ansichtspostkarten in der DDR und der Bundesrepublik 1949 bis 1989.


Ulrich Brinkmann: „Vorsicht auf dem Wendehammer“. Die Straße als Element des Städtebaus. Ansichtspostkarten in der DDR und der Bundesrepublik 1949 bis 1989.
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Bild: DOM publishers

Schon das erste Kapitel „Marktplatz wird Parkplatz“ über die Stadtplätze in Frankfurt am Main, Ingolstadt, Waren, Dortmund, Hildesheim sowie im ostdeutschen Wismar oder Brandenburg schildert, wie sorgfältig choreographiert die Autos zwischen den reparierten Altstadtfassaden parkten. Die guten Stuben der Städte dienten offenbar nicht bloß als Provisorien für spätere Hoch- und Tiefgaragen, sondern als Stadtkronen und Zeremonialräume zur Feier des Autos als schönster Errungenschaft der Aufbaujahre.

Ebenso stolz zeigen die Karten, mit welch rabiaten Durchbrüchen die Infrastrukturen der Peripherie ins Zentrum drängten. Das ergab zuweilen noch halbwegs fassbare Stadträume wie die Lange Straße in Rostock, die Kampstraße in Dortmund oder die Berliner Straße in Frankfurt am Main, die von Fassadenwänden und Gehsteigen eingefasst sind. Doch bei der Ost-West-Straße in Hamburg oder der Leningrader (heute Pe­tersburger) Straße in Dresden wurde je­der Bezug von Haus und Straße aufge­geben. Die Autoschneisen berühren nur noch zufällig ihre Randbebauung, Orientierung bieten allein die Fahrbahnmarkierungen und Wegweiser. Raumfressend kommen schräg gestellte Parkbuchten mit eigenen Rangierspuren und Grünstreifen in der Fahrbahnmitte hinzu, die die Gehwege verdrängen und jede Eigenräumlichkeit zerstören.

Stammbaum der urbanen Degene­ration

Brinkmanns Sammlung lässt sich wie ein Stammbaum der urbanen Degene­ration lesen. Erst wachsen die linearen Kreuzungen zu den flächigen Kreisverkehren, dann geht es mit Überführungen und Straßentrögen in die Vertikale, und schließlich werden die Passanten in den B-Ebenen der Republik wie Ratten in der Kanalisation vertunnelt – etwa an der Frankfurter Hauptwache, der Hannoveraner „Passerelle“ oder im Bonner „Loch“.

Kein Gehweg, keine Bank, nur Betrachtungsgrün für Autofahrer: Der Engelsburgplatz in Castrop-Rauxel um 1960


Kein Gehweg, keine Bank, nur Betrachtungsgrün für Autofahrer: Der Engelsburgplatz in Castrop-Rauxel um 1960
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Bild: DOM publishers

Selbst bei brutalen Kahlschlägen von Ulm bis Berlin plädiert Brinkmann mit et­was modischer konservatorischer Empfindsamkeit für sorgfältigen Um­gang ­mit diesen Schlachtfeldern der Nachkriegsmoderne. Leider fehlen den meisten Karten die Jahresangaben. Durchweg falsch bleibt sein Narrativ, erst der Krieg habe die Tabula rasa für diesen radikalen Stadtumbau geschaffen; in Wahrheit gab es die größten Stadtzerstörungen im ­Neuaufbau nach 1945.

Und hilfreich wäre ein Exkurs gewesen, dass dieser Wahnsinn bis heute Methode hat. Denn weiterhin gelten die „Richtlinien für die Anlage von Straßen“, die mit expansiven Regelquerschnitten, Kurvenradien und Neigungswinkeln eine in Paragraphen gegossene Anleitung zur Stadtzerstörung sind. Dabei hatte al­les, wie die Ansichtskarten zeigen, so schön und friedlich angefangen.

Ulrich Brinkmann: „Vorsicht auf dem Wendehammer“. Die Straße als Element des Städtebaus. Ansichtspostkarten in der DDR und der Bundesrepublik 1949 bis 1989. DOM publishers, Berlin 2023. 288 S., Abb., br., 28,– €.

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